Oh du fröhliche! An das Christkind glauben die Verwandten schon lange nicht mehr, dafür nun aber an Verschwörungsmythen. In wenigen Tagen ist Weihnachten und die Familien kommen zusammen. Unter anderem versammeln sich auch Geimpfte und Ungeimpfte zum ersten Mal unter dem Weihnachtsbaum.
Impfdiskussionen, neue Massnahmen und die psychische Belastung durch die Pandemie: Das Coronavirus liefert für das Fest massenhaft Gesprächsstoff und eben auch grosses Streitpotential. Viele Familien haben deshalb Angst vor einer Eskalation an Weihnachten.
Primär sind wir Menschen
Ronia Schiftan ist Gesundheitspsychologin. Sie weiss um die Brisanz eines Familienstreits: «Es ist eine riesige Challenge, die vor uns steht.» Sie will aber nicht Menschen in unterschiedliche Kategorien stecken: «Primär treffen nicht Geimpfte und Ungeimpfte aufeinander, sondern Menschen.» Und wo Menschen aufeinander treffen, da «menschelt» es eben. Konflikte würden dazugehören – das kenne man auch sonst schon von Weihnachten, meint sie.
Es kann deshalb zu Momenten kommen, in denen man realisiert, dass sich die Werte nicht decken.
Der Ursprung dieser Konflikte liege dabei in der Diversität der Werteauffassung, sagt Schiftan. Sie erklärt, dass Menschen jeweils viele Gründe hätten, die sie antreiben würden, eine Entscheidung zu treffen. Das Problem dieser Tage liege darin, dass die Menschen davon ausgehen, dass ihre Freunde, Verwandten und Beziehungspartnerinnen und Beziehungspartner ebenfalls die gleichen Werte und die gleichen Verhaltensweisen aufweisen wie sie selbst. Doch das sei nicht immer der Fall. «Es kann deshalb zu Momenten kommen, in denen man realisiert, dass sich die Werte nicht decken. Das kann eine riesige Herausforderung für die Beziehung sein.»
Am wichtigsten ist deshalb, dass man sich trotzdem begegnet und Empathie zeigt.
Sie mahnt deshalb: «Nun müssen wir ganz fest aufpassen, dass wir das nicht zu einem Beziehungsthema machen, sondern dass wir sagen, dass es primär darum gehe, dass wir alle in dieser Pandemie stecken. Diese berge für alle grosse Schwierigkeiten und ziehe teils grosse Ängste mit sich. «Am wichtigsten ist deshalb, dass man sich trotzdem begegnet und Empathie zeigt.»
Auf sich hören
Diskussionen partout unter den Teppich kehren oder doch austragen – eine Patentlösung gibt es nicht. Schiftan appelliert deshalb an die Selbstwahrnehmung. Grundsätzlich müsse man schauen, wie es einem mit der Situation geht.
Man solle sich beispielsweise fragen, in welcher Beziehung ich zu einer Person stehe und wie gut es unserer Beziehung überhaupt geht. Dann kann man sich auch fragen: «Will ich mich mit dieser Person austauschen und habe ich für eine Diskussion überhaupt genug Energie?»
Schiftan, die sich auf Medien- und Ernährungspsychologie spezialisiert hat, findet zudem, dass man bereits vorab besprechen darf, wie und ob man über die Pandemie sprechen möchte. Also quasi ein Meta-Gespräch vor dem Fest. In einem solchen kann man klären, ob man darüber sprechen will, und auch, ob es Platz braucht, um sich gegenseitig die Ängste abzuhören oder nicht.
Wichtig ist es, dass man auf sich selbst hört, sich aber auch abgrenzen kann.
Schiftan findet es wichtig, dass man in einen Dialog trete und darüber spreche, wie es einem gehe. Studien wie die «Swiss Corona Stress Study» der Universität Basel zeigten, wie hoch die Belastung ist. Und diesen Umstand dürfe man sich zu Herzen nehmen und auch ausdiskutieren. Sie sagt: «Wichtig ist es, dass man auf sich selbst hört, sich aber auch abgrenzen kann.»
Denn Corona hin oder her, es darf nicht vergessen werden, unter welchem Stern das Weihnachtsfest liegt. Nämlich unter dem der Nächstenliebe. Ein letzter Tipp hat Ronia Schiftan deshalb noch: Es sei immer gut, auf das Gegenüber zuzugehen und zu fragen, wie es ihm geht – dabei ist es stets wichtig, empathisch zu sein.