In der Schweiz soll ein Impfstoff nun auch für Kinder zugelassen werden. Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF) und Leiter Infektiologie am Kinderspital Zürich, begrüsst diesen Schritt. Für ihn ist aber nicht wichtig, dass sämtliche Kinder geimpft werden, sagt er im Gespräch.
SRF News: Meldungen von vollen Spitälern und vor allem von übervollen Intensivstationen haben in letzter Zeit für Schlagzeilen gesorgt. Wie ist die Situation im Kinderspital?
Christoph Berger: Im Kinderspital ist es auch sehr voll, auch wir haben wenig freie Betten - auch auf der Intensivstation. Aber das ist nicht primär wegen Covid, sondern wegen der Saison. Das sind die häufigen Infekte im Winter.
Wie viele Coronafälle mussten Sie in den letzten Monaten behandeln?
In den letzten Monaten waren einzelne Kinder mit Covid im Kinderspital. Das waren nie mehr als fünf, häufig eines oder zwei. Die meisten sind nicht so schwer krank und viele sind auch nicht unbedingt wegen, sondern unter Umständen mit Covid im Spital.
Und trotzdem: In letzter Zeit haben Neuinfektionen bei Kindern und Jugendlichen massiv zugenommen. Es ist eigentlich fast die am meisten betroffene Gruppe, etwa ein Drittel in der Schweiz. Haben Sie keine Sorgen, dass dies mit der üblichen Verzögerung von zwei bis drei Wochen Auswirkungen aufs Spital hat?
Seit den Sommerferien gibt es immer hohe Fallzahlen bei den Kindern, und die sind jetzt vielleicht noch höher. Aber dennoch sind die Zahlen der Kinder, die wegen Covid ins Spital müssen, nicht gestiegen. Die Zahlen sind tief geblieben und daraus schliessen wir, dass Covid zwar sehr häufig bei Kindern vorkommt, aber meistens ganz mild.
Zwei bis drei Prozent der Kinder, die positiv sind, werden ernsthaft krank. Solange die Ansteckungszahlen tief waren, konnte man sagen, zwei bis drei Prozent ist nicht so viel. Jetzt aber, da die Zahlen steigen, muss man sagen, zwei bis drei Prozent von vielleicht 100'000 sind gleich 2'000 bis 3'000 Kinder, die ernsthaft erkranken. Was muss man jetzt machen?
Es ist eben ganz interessant und wichtig zu sehen, dass das nicht passiert. Die Fallzahlen gehen viel stärker hinauf als die Hospitalisierungen. Das ist nie bei diesen zwei bis drei Prozent geblieben. Und von denjenigen, die im Spital sind, sind die allermeisten gar nicht schwer krank.
Kinder mit Covid sind fast nie im Spital.
Die Kinder sind vielleicht im Spital wegen eines Blinddarms oder wegen irgendeines anderen Problems und gar nicht wegen Covid. Aber sie haben Covid. Das ist wichtig, zu realisieren. Kinder mit Covid sind fast nie im Spital.
Sie gehören zu den Experten, die bei Einschätzungen Zurückhaltung üben. Sie haben sich zum Beispiel im September auch kritisch zu den Masken und der Quarantänepflicht an Schulen geäussert. Es bringe eigentlich nicht wahnsinnig viel, haben Sie sinngemäss in der Rundschau von SRF gesagt. Bleiben Sie angesichts der höheren Fallzahlen bei dieser Einschätzung?
Ich bleibe bei der Einschätzung, dass Kinder wegen Covid sehr selten schwer erkranken. Kinder haben Covid, aber sie leiden viel eher an den Massnahmen, die man ihnen auferlegt.
Massnahmen, die eigentlich gar nicht die Kinder, sondern die ganze Gesellschaft braucht – das ist ganz wichtig zu realisieren. Unter dem Strich ist es entscheidend für die Kinder, dass sie einen normalen Alltag haben und in die Schule gehen können. Wir dürfen sie mit Massnahmen, die sie gar nicht gross betreffen, nicht zu fest einschränken. Denn übergeordnet ist der Alltag und die Schule.
Swissmedic hat bekannt gegeben, dass eine erste Kinderimpfung für Fünf- bis Zwölfjährige in der Schweiz zugelassen wird. Was jetzt noch fehlt, ist die Impfempfehlung der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF). Laut Medienberichten soll es voraussichtlich am Dienstag eine zurückhaltende Empfehlung geben. Wie sieht die Empfehlung aus?
Wir sind sehr froh, dass Swissmedic den Impfstoff von Pfizer/Biontech für Kinder zugelassen hat. Die Empfehlung wird im Laufe der Woche fertig und kommuniziert werden. Es ist nach wie vor so, dass die Krankheitslast bei den Kindern in dieser Altersgruppe ganz klein ist. Auch das Risiko dieser Impfung ist klein – das wissen wir jetzt, darum wurde sie auch zugelassen.
So haben wir eine Option, um Kinder mit schweren chronischen Krankheiten zu schützen, damit sie nicht nochmals etwas dazu bekommen, weswegen sie vielleicht ins Spital müssten. Und wir können auch Kinder schützen, die im gleichen Haushalt leben wie Erwachsene, die sich wiederum durch die Impfung selber nicht schützen können. Da können wir wirklich etwas beitragen.
Wenn die Risiken klein sind, wäre es nicht kluger, man würde diese Impfempfehlung für alle Fünf- bis Zwölfjährigen aussprechen?
Es ist wichtig, dass man die Eltern mitentscheiden lässt, ob sie ihre Kinder impfen lassen oder nicht. Wir müssen nicht die Kinder impfen, damit alle Kinder geschützt sind, sondern man kann es denjenigen anbieten, die das wollen.
In diesem Alter können die Kinder das nicht alleine entscheiden. Das machen die Eltern alleine oder mit den Kindern zusammen. Es ist viel wichtiger für die Pandemiebekämpfung, dass die Eltern, dass die Erwachsenen geimpft sind. Die Impfung der Kinder macht viel weniger aus und ist nur ein kleiner Beitrag.
Wäre es nicht konsequent, zu empfehlen, die Kinder zwischen fünf und zwölf einfach zu impfen?
Wir wollen das noch genau beobachten. In den USA sind unterdessen zwischen fünf und acht Millionen Kinder in dieser Altersgruppe schon geimpft worden. Die meisten haben jetzt die erste Impfung. Wir wollen auch schauen, wie sie die zweite Impfung vertragen. Und je mehr Daten man hat, desto überzeugter kann man sein.
Ich verstehe, falls Eltern noch ein bisschen Zweifel haben.
Aber ich verstehe, falls Eltern da noch ein bisschen Zweifel haben. Es ist eine Abwägung der Eltern. Und es ist nicht wichtig, dass alle Kinder geimpft sind.
Das Gespräch führte Hans-Peter Künzi.