War es das jetzt mit der Leichtigkeit? Zum ersten Mal seit fast drei Monaten nehmen die Corona-Neuinfektionen in der Schweiz wieder zu. Gemäss dem BAG-Wochenbericht vom Dienstag liegt der 7-Tages-Schnitt bei 1473 Corona-Fällen – ein satter Anstieg von 53 Prozent gegenüber der Vorwoche. Auch bei den Hospitalisierungen gehen die Zahlen wieder leicht nach oben. Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel erklärt die Gründe und ordnet die Situation ein.
SRF News: Kann man jetzt schon von einer Trendwende sprechen?
Katrin Zöfel: Ja, das ist eine Trendwende. Gleich drei wichtige Kennzahlen sind wieder am Steigen, und das zum ersten Mal seit Wochen: Die Fallzahlen, die im Spital behandelten Personen und die Patienten auf der Intensivstation. Das ist deutlich. Wenn die Entwicklung so weiter geht, dann verdoppeln sich die Fallzahlen nun alle zwei Wochen.
Was könnten die Gründe für diesen massiven Anstieg bei den Neuinfektionen sein?
Das ist der Effekt einer neuen Schwestervariante von Omikron: BA.5. Sie ist ansteckender und kann die Immunität nach der Impfung und/oder der Infektion gut umgehen, noch besser als die Vorgänger-Varianten. Also hat sie einen Vorteil, setzt sich durch und sorgt jetzt für die steigenden Fallzahlen.
Der gleiche Effekt war in anderen Ländern zu beobachten, wo sich BA.5 etabliert hat: Zuerst in Südafrika, wo die Variante zum ersten Mal nachgewiesen wurde, dann in Spanien und Portugal, inzwischen auch in Deutschland und jetzt in der Schweiz. Wie hoch der Anteil von BA.5 in der Schweiz schon ist, lässt sich nur schätzen, Mitte Mai lag er bei 10 Prozent, mit deutlich steigender Tendenz. Vermutlich liegt BA.5 aktuell bei um 50 Prozent und BA.2, die Variante, die bis eben noch das Infektionsgeschehen bestimmt hat, wird immer weniger.
Was weiss man über die Krankheitsverläufe bei BA.5 und wie gut schützt die Impfung vor Infektionen und schweren Verläufen?
Was bisher über die Schwere der Verläufe bekannt ist, spricht dafür, dass BA.5 nicht stärker krank macht als andere Omikron-Varianten. Studienergebnisse legen nahe, dass eine dreifache Impfung einen guten Schutz gegen Omikron und alle Schwestervarianten liefert, nicht unbedingt gegen Infektionen, aber doch gegen schwere Verläufe.
Impfung und Infektion zusammen ergeben ebenfalls einen guten Schutz. Eine Infektion mit dem «ersten» Omikron BA.1 allein ergibt laut Labordaten aus Südafrika dagegen kaum Schutz gegen BA.5. Kurz gesagt: Schwere Verläufe und Sterbefälle sind unter Immunisierten sehr selten geworden und werden es auch unter BA.5 mit grosser Sicherheit bleiben. Reinfektionen sind dagegen gut möglich, auch mehrfache.
Schwere Verläufe und Sterbefälle sind unter Immunisierten sehr selten geworden und werden es auch unter BA.5 mit grosser Sicherheit bleiben.
Ist ein weiterer Anstieg der Fallzahlen jetzt unausweichlich?
Die Frage ist, wie lange es nun nach oben geht mit den Fallzahlen. Irgendwann ist durch die erneuten Infektionen mit BA.5 die Immunität wieder so hoch – und sozusagen «frisch aufgefrischt» – dass die Fallzahlen wieder sinken werden. Wie viele Personen in der Schweiz sich noch einmal neu anstecken müssen, damit dieser Effekt eintritt, ist aber schwer abzuschätzen.
Die Immunität in der Bevölkerung ist durch Impfung und viele Infektionen schon relativ hoch, aber offensichtlich nicht hoch genug, um den Anstieg an Infektionen jetzt zu verhindern. Der zweite wichtige Faktor ist das Verhalten der Menschen. Wenn wieder mehr Menschen vorsichtig werden und Kontakte meiden, wird sich das auch auf die Fallzahlen niederschlagen.
Noch konkret für den Alltag: Ist jetzt wieder vermehrt Vorsicht geboten? Soll man wieder öfters Maske tragen oder Veranstaltungen meiden?
Das ist inzwischen zu einer sehr persönlichen Entscheidung geworden: Will man sich grundsätzlich möglichst gut schützen vor Infektionen oder sagt man sich, «ich lasse Infektionen jetzt zu und nehme das in Kauf». Klar ist: Die offiziellen Fallzahlen geben die Realität nicht mehr 1 zu 1 wieder. Sie bilden die Trends zwar immer noch relativ gut ab, also ob die Virustätigkeit gerade fällt oder steigt.
Aber man muss davon ausgehen, dass die Dunkelziffer sehr hoch ist, die Virusaktivität also deutlich höher liegt als die 14-Tage-Inzidenz von (Stand 07.06.) knapp 180 Fällen auf 100'000 Einwohnern. Die Wahrscheinlichkeit, jemandem zu begegnen, der aktuell infiziert ist und auch infektiös ist, ist höher, als die offiziellen Fallzahlen es anzeigen.
Das Gespräch führte Philipp Schneider.