Den ganz grossen Durchbruch gibt es in Sachen Corona-Medizin nicht. Aber ein Mosaik aus einzelnen Fortschritten und gelernten Lektionen, die zusammen medizinischen Fortschritt ergeben. «Es ist ein enormer Lerneffekt da», sagt Nicolas Müller, Infektiologe am Universitätsspital Zürich und Mitglied der Corona-Task-Force des Bundes.
Allzu sehr will er aber nicht mehr auf den einen grossen medikamentösen Erfolg hoffen. «Wir sind etwas zurückhaltender geworden, als wir das vielleicht in der ersten Phase waren. Ich denke aber, dass wir jetzt doch was gelernt haben. Wir haben einiges in der Hand.» Es sei nicht perfekt, aber eben: besser als im Frühjahr.
Drei Medikamente sind für die Corona-Therapie momentan zentral:
Remdesivir: Zu Remdesivir gab es im Mai erste klar positive Daten. Es verkürzt demnach, rechtzeitig gegeben, die Zeit, die Corona-Patienten im Spital verbringen müssen. Gibt man Remdesivir spät im Krankheitsverlauf, dann wenn Patienten schon beatmet werden müssen, bringt es dagegen nichts. Seit Mai gilt in der Schweiz: «Wir behandeln nur Patienten die hospitalisiert sind und einen Sauerstoffmangel haben, aber noch nicht mechanisch ventiliert sind, noch nicht beatmet sind auf der Intensivstation», so Manuel Battegay, Infektiologe am Unispital Basel und Mitglied im Leitungsteam der Corona-Task-Force.
Das sei typisch für Medikamente, die direkt gegen das Virus wirken. Sollen sie etwas bewirken, dürfen sie nicht erst dann gegeben werden, wenn im Körper schon zu viel Schaden entstanden ist. «Man muss sich das so vorstellen, dass bei mechanisch ventilierten Patienten der Entzündungsprozess allermeist voll im Gange und sehr, sehr ausgeprägt ist.»
In vielen Krankenhäusern der Welt wird Remdesivir inzwischen früher im Krankheitsverlauf gegeben. Manuel Battegay hält es für möglich, dass die Daten, die da gerade gesammelt werden, zeigen, dass Remdesivir nicht nur die Krankheitsdauer, sondern auch die Sterblichkeit erheblich senken kann. Bis Ende Jahr könnten dazu Ergebnisse vorliegen.
Dexamethason: Es wirkt nicht wie Remdesivir gegen das Virus direkt, sondern unterdrückt die Entzündungsreaktion des Körpers, die gerade bei schweren Verläufen eine entscheidende Rolle spielt. In der britischen Recovery Studie senkte Dexamethason bei schweren Fällen die Sterblichkeit um bis zu 35 Prozent. Ganz so stark werde der Effekt in der Schweiz sicher nicht sein, sagt Manuel Battegay, unter anderem weil entzündungsfördernde Risikofaktoren wie schlecht eingestellter Diabetes oder Bluthochdruck hier weniger verbreitet seien.
Die Erfahrung der letzten Monate zeige aber auch hier, so die beiden Mediziner, dass Dexamethason offenbar einen klar positiven Effekt habe.
Blutverdünner: «Die Blutverdünnung ist sehr wichtig», so Nicolas Müller. Thrombosen und Lungenembolien sind häufige Komplikationen bei Covid-19, weil das Virus nicht nur die Lunge, sondern auch Blutgefässe angreift. Blutverdünner helfen dieses Risiko zu senken.
Viele befürchteten im Frühjahr, dass die kleine Schweiz, sich auf dem umkämpften globalen Medikamentenmarkt nicht würde gut genug versorgen können. Battegay und Müller geben Entwarnung, und loben das Bundesamt für Gesundheit. «Das BAG arbeitet da hervorragend. Wir haben im Moment genügend Remdesivir.» Und nicht nur im Moment, sondern sicher bis Ende Jahr. Und bis dahin sei vermutlich auch die globale Produktion so weit hochgefahren, dass sich die Situation ohnehin entspanne.
Was gibt es für Neuerungen?
Plasmatherapie: Manuel Battegay forscht am Unispital Basel an der Plasmatherapie. Dabei wird Patienten, die eine Erkrankung überstanden haben, Blut abgenommen, und die darin gegen Corona wirksamen Antikörper werden akut kranken Patienten gegeben. Erste Resultate sehen gut aus. Doch der klare Beweis, in grossen Studien, dass diese Therapie hilft, steht noch aus. Wenn es aber soweit ist, können Patienten hierzulande sofort behandelt werden. «All das ist nun technisch in der Schweiz vorhanden.»
Antikörper: Antikörper, die gegen das Virus helfen, kann man auch künstlich ausserhalb des menschlichen Körpers herstellen. «Es ist so, dass mehrere Firmen jetzt Antikörper entwickelt haben», sagt Manuel Battegay. «Entsprechende Studien dürften ca. im Januar, Februar des nächsten Jahres beginnen.» Ergebnisse könnte es im Sommer 2021 geben.