In der Schweiz ist die Zahl der Coronatests stark am Steigen. Das Testen bringt die beteiligten Labors langsam, aber sicher an ihre Kapazitätsgrenzen, und es gibt schon Berichte über Materialengpässe. Wo steht die Schweiz im Kampf gegen Covid-19, fragt SRF den Epidemiologen Marcel Salathé.
SRF News: Vor zwei Wochen haben Sie gesagt, dass sich die Zahlen stabilisieren und man deshalb mit viel Optimismus in den Winter gehen kann. Würden Sie das heute auch noch sagen, mit Blick auf die steigenden Fallzahlen?
Marcel Salathé: Im Gesamtbild steht die Schweiz nach wie vor relativ gut da. Die Hospitalisierungen und Todesfallraten sind sehr tief, und das Gesundheitssystem ist belastbar. Aber die Fallzahlen sind massiv gestiegen. Daran sieht man, wie labil die Situation ist. Man darf jetzt nicht unvorsichtig werden, sonst kann man schnell die Kontrolle verlieren.
Es wird aktuell mehr getestet. Aber bei den Tests kommt man langsam an Grenzen, und es gibt Engpässe. Wie besorgt sind Sie?
Das besorgt uns natürlich, denn Tests sind essenziell – aus zwei Gründen: Einerseits geben sie uns ein klares Bild über die epidemiologische Lage. Andererseits steht das Testen am Anfang einer «Test/Contact-Tracing/Quarantäne»-Strategie. Wenn das erste Element, das Testen, auseinanderfällt, könnte in der Folge die gesamte Strategie zusammenfallen.
Tests geben uns ein klares Bild über die epidemiologische Lage.
Sie haben gesagt, man sehe Cluster-Effekte, also die Ballung von Infektionen, jetzt, da Grossveranstaltungen wieder erlaubt sind. Macht Contact-Tracing noch Sinn unter diesen Umständen?
Die neuen Fälle stammen nicht aus solchen Grossveranstaltungen. Aber es wird sich zeigen, wie diese Schutzkonzepte greifen, ob man mit Testen und Contact-Tracing nachkommen kann. Das wird essenziell sein, um zu sehen, ob das funktioniert.
Warum dauert der Aufbau einer nationalen Corona-Datenbank so lange?
Ich habe Verständnis dafür, dass das Zeit braucht. Aber wir stecken seit acht Monaten in dieser Pandemie, und diese Daten sollten wirklich langsam da sein.
Wo hapert es denn?
Vermutlich ist es ein Koordinationsproblem zwischen Kantonen und dem Bund. Man hört, dass es langsam funktioniert, und man sieht etwa am Beispiel des Kantons Bern, dass gut und transparent informiert wird.
Niemand hat Zeit, auf 26 Websites aller Kantone nach Daten zu suchen. Das muss zentralisiert werden, mit einer nationalen Datenbank.
Für das Contact-Tracing, das Nachverfolgen der Infektionsketten, wird ein grosser Aufwand betreiben. Ist der nicht zu gross mit einem zu geringen Erfolg?
Wir sprechen über den Kanton Bern, weil er eben sehr transparent ist, und ich möchte Bern dazu auch gratulieren. Man kann das Problem nur dann lösen, wenn man weiss, dass es existiert, und aus Fehlern lernt. Wenn man jetzt das Contact-Tracing anschaut und dabei z.B. der Anteil der Neuinfektionen und der Leute, die wegen dem Contact-Tracing in Quarantäne waren, ergibt das eine extrem wichtige Zahl:
Wenn die sehr hoch ist, kann man sagen, das Contact-Tracing funktioniert gut. Wenn sie aber tief ist, müssen Anpassungen gemacht werden. Das weiss man aber nur, wenn man diese Zahlen hat, und darum sind sie so wichtig. Jetzt haben die Kantone ja wieder die Kontrolle, aber niemand hat Zeit, auf 26 Websites aller Kantone nach Daten zu suchen. Das muss zentralisiert werden, transparent und zeitnah – mit einer nationalen Datenbank.
Das Gespräch führte Urs Gredig.