Jedem Tal sein Spital. Das war über Jahrzehnte das Motto der Schweizer Spitalplanung. Doch diese Zeiten sind vorbei. Vielen Spitälern geht das Geld aus. «Bei jedem 10. Spital ist die Lage prekär», sagt Philip Sommer, Gesundheitsökonom bei der Beratungsfirma PWC. Wenn der Kanton als Eigentümer nicht mit Steuergeldern nachschiesse, müssten die Spitäler schliessen.
Kanton St.Gallen: 4 Regionalspitäler weg
Viele Kantone scheinen nicht mehr bereit zu sein, aus regionalpolitischen Gründen die Regionalspitäler mit Steuergeld zu erhalten: In Baselland wurde letztes Jahr das Spital Laufen geschlossen. Die stationären Patienten und Patientinnen wurden in andere Spitäler verlegt. Im Kanton St. Gallen hat das Parlament entschieden, gleich vier der neun kantonalen Spitälern zu schliessen.
Der Umbruch ist politisch gewollt
Spitalschliessungen führen zu einem Aufschrei in den betroffenen Regionen. Aber die Entwicklung ist politisch gewollt. Der Bund hat mit der neuen Spitalfinanzierung 2012 den Umbruch provoziert.
Zwei Dinge sind fundamental anders geworden: Die Patienten und Patientinnen haben die freie Spitalwahl in der ganzen Schweiz – so sind die Spitäler stärker dem Wettbewerb ausgesetzt. Gleichzeitig müssen die Spitäler mit den Fallpauschalen der Patienten auskommen. Ihnen werden nicht mehr einfach die Kosten gedeckt.
In den letzten Jahren kam verschärfend dazu: Viele Eingriffe können oder müssen ambulant gemacht werden – aus Spargründen und weil der medizinische Fortschritt dies erlaubt. Das heisst: Grosse Bettenabteilungen werden überflüssig.
Gefragt sind hohe Fallzahlen
Ist die Gesundheitsversorgung in Gefahr? Im Gegenteil, die Qualität werde besser mit weniger Spitälern. Davon sind viele Experten und Politikerinnen überzeugt. «Die Qualität in den kleinen Spitälern wird immer schwieriger zu gewährleisten», sagt der St. Galler Regierungsrat Bruno Damann.
Als Vorsteher des Gesundheitsdepartements und langjähriger Arzt hat er die neue St. Galler Spitalstrategie mitentwickelt. Man habe zu wenig Fachpersonal. Dieses gelte es in Zentren zu bündeln.
Unbestritten ist ausserdem, dass die medizinische Behandlung besser wird, wenn ein Spital mehr Routine hat mit einer Operation. Vor allem bei komplexen Eingriffen werden Fallzahlen zu einem wichtigen Qualitätsindikator.
Der Direktor der Stiftung für Patientensicherheit, David Schwappach, erklärt warum: «Es ist nicht nur die handwerkliche Routine des Chirurgen. Das ganze Team im Operationssaal, das Pflegepersonal, die Physiotherapeutinnen – sie alle haben mehr Erfahrung mit höheren Fallzahlen.» Ausserdem seien grössere Teams besser beim Bewältigen von Komplikationen.
Regionen fühlen sich abgehängt
Doch der Frust ist gross, wenn in der Region das Spital schliesst. «Es geht um die medizinische Grundversorgung und um die Attraktivität des Ortes», sagt der Altstätter Stadtpräsident Ruedi Mattle.
Wenn sein Spital schliesst, verliert er auch einen der wichtigsten Arbeitgeber in der Region. Zudem verlieren Bäckereien, Floristen und Lieferanten Umsatz. «Wenn man das Spital betriebswirtschaftlich betrachtet, werden Landregionen abgehängt», kritisiert er die Spitalstrategie seines Kantons.
Qualität habe zudem auch eine andere Seite, ist Mattle überzeugt: «Es geht nicht allein um hohe Fallzahlen. Nähe zum Wohnort, familiäre Atmosphäre und menschlicher Umgang sind für die Genesung auch wichtig.» Gerade die ältere Bevölkerung will bei einem Spitalaufenthalt am liebsten in der Region bleiben.
Der unerwartete Corona-Effekt
Als die Pandemie ausbrach, witterten viele Landspitäler wieder Morgenluft. Corona würde die Diskussion um Spitalschliessungen zum Schweigen bringen. Doch es kam anders. «Corona hat die Konzentration beschleunigt», erklärt Felix Sennhauser, VR-Präsident aller St.Galler Spitalverbunde.
Die Pandemie habe gezeigt: Es mangelt nicht an Betten, sondern an Fachpersonal. Viele Kantone haben in der Pandemie genau das gemacht, was sowieso im Trend liegt: Die Leistungen der Spitäler auf weniger Standorte konzentriert, um das Fachpersonal zu bündeln und effizienter zu arbeiten. «Die Pandemie hat unsere Strategie bestätigt», sagt der oberste Chef der St.Galler Spitäler.