Wie es ihrer Familie geht, weiss Gülmire Hasan nicht. Und diese Ungewissheit ist sehr belastend: «Ich habe Schlafstörungen, in meinem Kopf dreht sich alles, ich mache mir Gedanken.» Sie betet und hofft, dass ihren Verwandten und Freunden nichts zustösst, und dass die Uiguren in Zukunft mehr Freiheit haben als heute. Aber die Angst ist gross. So gross, dass Hasan, die eigentlich anders heisst, nicht will, dass ihr richtiger Name genannt wird.
Vor mehr als einem halben Jahr hatte sie letztmals telefonischen Kontakt zu ihren Familienangehörigen, die noch in der chinesischen Provinz Xinjiang leben. Denn Telefonanrufe seien Risiko für ihre uigurischen Verwandten.
«Sie sagten mir, dass sie nach den Anrufen kontrolliert worden seien. Eine halbe Stunde später sei die Polizei bei ihnen zuhause vorbeigekommen und habe gefragt, mit wem sie gesprochen hätten.» Deshalb wurde Hasan von ihren Verwandten aufgefordert, weniger oder gar nicht mehr anzurufen.
Flucht vor rund zehn Jahren
Hasan war vor rund zehn Jahren mit ihrem Mann und ihrem Kind in die Schweiz geflüchtet. Ihr Mann sei zuvor von den chinesischen Sicherheitskräften verhaftet und während drei Monaten in ein Gefängnis gesteckt worden. Und dies nur, weil er friedlich für die kulturellen Rechte der Uiguren demonstriert habe.
Nachdem sie schliesslich in der Schweiz angekommen waren, empfand Hasan ein Gefühl der Befreiung. «Ich bin im Sommer angekommen. Am ersten Tag habe ich nur lachende Leute getroffen. Da habe ich gemerkt, ich bin frei, ich bin in Sicherheit.» Doch ihre Gedanken sind noch häufig in der alten Heimat. Denn laut ihrem letzten Wissensstand wurden viele ihrer Cousins in Umerziehungslager gebracht.
Folter in chinesischen Lagern
Die Existenz dieser Lager bereitet auch Andili Memetkerim grosse Sorgen. Er ist schon seit rund 20 Jahren hier und ist Präsident des Uigurischen Vereins Schweiz: «Diese Lager sind sehr unverständlich und sehr brutal. Dort sind alle Gelehrten, Künstler, Maler, Lehrer, Ärzte, Dichter, Schriftsteller, Historiker.»
Offenbar wolle das chinesische Regime die uigurische Identität zurückdrängen oder sogar auslöschen, sagt Memetkerim. Die muslimischen Uiguren, deren Sprache mit dem Türkischen verwandt ist, werden in diesen Lagern gezwungen, chinesische Lieder zu singen und die Kommunistische Partei zu loben. Memetkerim ist sich sicher, dass in den Gebäuden auch gefoltert wird.
Kontakt mit Aussendepartement
Von der Schweiz aus versucht der Vereinspräsident sich für die Anliegen der Uiguren einzusetzen. Er organisiert Kundgebungen, Veranstaltungen und Ausstellungen, er trifft sich mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen und sucht das Gespräch mit dem Eidgenössischen Aussendepartement.
Dass die Schweiz enge wirtschaftliche Kontakte mit China habe, sei legitim. Aber: «Bei jedem Treffen, bei jeder Gelegenheit, wünschen wir, dass man die dortige Menschenlage thematisiert. Das passt zur Schweiz», so Memetkerim.
Nicht einmal 150 Uiguren leben hier. Doch sie wollen sich dafür einsetzen, dass die Situation der Uiguren in China ein politisches Thema bleibt.