Der Corona-Staat scheint allmächtig. Rund um den Globus treten Regierungschefs allabendlich vor die Fernsehkameras und erklären der Bevölkerung, was zu tun ist, um die Krise zu bewältigen.
In autokratisch geführten Staaten wächst die Angst, dass Machthaber ihre Befugnisse weiter ausweiten. Doch auch die Parlamente in Demokratien, in denen die Gewaltenteilung gewährleistet ist, sind derzeit auf Tauchstation.
Krisenzeiten sind Regierungszeiten.
Der Schweizer Politphilosoph Francis Cheneval warnt vor einer «freiwilligen Knechtschaft» gegenüber der Exekutive – und ruft die Volksvertreter zu Wachsamkeit auf: «Die nachträgliche Rechenschaftspflicht muss greifen.»
Am 17. März hat Bundesrat die «ausserordentliche Lage» ausgerufen und regiert seither per Notrecht. Sind die Parlamentarier nur noch Zuschauer? Mitnichten, sagt Ständeratspräsident Hans Stöckli. «Wir sind gar nie verschwunden. Wir haben hinter den Kulissen weitergearbeitet.»
Das Parlament verfüge auch in einer Notrechtssituation über konkurrierende, parallele Kompetenzen zum Bundesrat. Und: Die Regierung habe nur temporäre Machtfülle und werde Rechenschaft ablegen müssen.
Für den Berner SP-Mann ist aber klar: «Krisenzeiten sind Regierungszeiten. Und der Bundesrat hat seine Arbeit gut gemacht.» Die Regierung habe die richtigen Massnahmen zur richtigen Zeit getroffen.
Das Ende des Burgfriedens?
Der politische Betrieb nimmt aber langsam wieder Fahrt auf. Von den Parteien werden Forderungen laut. «Zuwarten, zuwarten, zuwarten» reiche nicht, sagte FDP-Präsidentin Petra Gössi in der «NZZ am Sonntag». Die SVP plädiert für eine Öffnung der Geschäfte nach dem 19. April. Grüne und Gewerkschaften fordern eine Exit-Strategie. Die SP warnt vor Schnellschüssen.
Stöckli bleibt trotz der neuen Tonlage gelassen. «Man ist sich der unglaublichen Verantwortung, die wir haben, bewusst. Parteipolitik steht nicht zuoberst.» Gebot der Stunde sei, die Regierung in der aktuellen Krise nicht in ihrer Handlungsfähigkeit zu beschränken.
Von einem Alleingang des Bundesrats kann keine Rede sein, findet Stöckli. «Er steht im Dialog mit den verantwortlichen Kräften, den Gewalten in unserem Staat.» Die Landesregierung treffe sich regelmässig mit den Rats- und Kommissionspräsidenten des Parlaments.
Mittelfristig müssten die Notverordnungen des Bundesrats aber in den parlamentarischen Prozess überführt werden. Die Volksvertreter sind gebrannte Kinder. Nach dem Zweiten Weltkrieg operierte der Bundesrat noch jahrelang mit Notverordnungen. Diese sind nun aber auf sechs Monate befristet.
Auf der Traktandenliste für die Sondersession stehen zurzeit die Milliardenhilfen für die Wirtschaft, die der Bundesrat gesprochen hat. Zudem ist der Militäreinsatz zur Bewältigung der Krise Thema. Geht es nur noch ums Abnicken?
Stöckli widerspricht. «Die Finanzdelegation hat bei der letzten Tagung Kontrollmechanismen für die Vergabe der Kredite anberaumt.» Weiter seien Motionen darüber denkbar, wie besonders gefährdete Personen künftig geschützt werden sollen. Hier bestehe noch Uneinigkeit in der Regierung.
Es darf am Ende keine Gewinner und Verlierer der Krise geben.
«Ich glaube, dass die generelle Diskussion über die Corona-Krise viel Raum einnehmen wird», blickt der Ständeratspräsident voraus. Die endgültige Traktandenliste werde aber erst am 1. Mai verabschiedet.
Bis dahin dürfte sich die Lage ohnehin noch verändern – zum Guten, hofft selbstverständlich auch der 67-jährige Bieler. Und fordert abschliessend: «Es darf am Ende keine Gewinner und Verlierer der Krise geben. Die Lasten müssen gerecht verteilt werden. Sonst haben wir unsere Arbeit nicht erfüllt.»