Kristin (34) wählt klare Worte, wenn sie über die Wochen nach der Geburt ihres Sohnes redet: «Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so hilflos gefühlt.»
Dabei, so die Erwartung der anderen, hätte sie glücklich sein müssen: Kristin hatte ein gesundes Kind zur Welt gebracht, ein Wunschkind. Und dennoch sagt sie: «Ich war so verzweifelt und fühlte mich ausgeliefert.»
Von einem Tag auf den andern habe sich ihr ganzes Leben so stark verändert, wie sie es sich nicht habe vorstellen können zuvor. Damit konnte Kristin nicht umgehen – so wie viele andere Eltern auch. Nur: Wer traut sich schon, das zuzugeben?
Nur wenige getrauen sich dies, sagt dazu Sandra Aeby, die zusammen mit Bettina Meyer Merkelbach das Bindungshaus vor etwa einem Jahr aufgebaut hat. «Es besteht nämlich die Erwartung der Gesellschaft, dass die Mutter nach einer Geburt glücklich sein muss.»
Viele halten einfach die Fassade aufrecht
Frauen, die nach der Geburt eines Kindes in ein emotionales Loch fallen, trauen sich deshalb kaum, das zuzugeben. «Viele schämen sich», sagt Bettina Meyer Merkelbach. «Sie reden nicht darüber und versuchen die Fassade der glücklichen Mutter so lange aufrechtzuerhalten, wie irgendwie möglich.»
Kristin gelang das nicht, und so machte sie eine Freundin auf das Bindungshaus aufmerksam. Während zweier Wochen sei sie jeden Tag hingegangen, erzählt Kristin. «Als ich zum ersten Mal kam, war ich nur noch ein Häufchen Elend.»
Zu erschöpft, um sich Hilfe zu holen
Ausgelaugte Mütter, erschöpfte Väter – das kennen die Gründerinnen des Bindungshauses gut. Oft seien diese Familien zu erschöpft, um Hilfe zu koordinieren.
«Unsere Vision war es deshalb, etwas sehr Familiäres aufzubauen», sagt Bettina Meyer Merkelbach. «Es ist keine Klinik, aber wir können dennoch genügend Hilfe anbieten, wenn es nötig ist.»
Es ist keine Klinik, aber wir können dennoch genügend Hilfe anbieten, wenn es nötig ist.
Neben Ausruhen und Reden, können Mütter und Väter auch Kurse und verschiedene Therapien besuchen im Bindungshaus. Abgerechnet wird nach Einkommen. So sollen sich auch Paare mit wenig Geld Hilfe leisten können.
Es gibt Eltern, die nur über Mittag vorbeikommen, andere bleiben ganze Tage und nehmen Therapien in Anspruch. Oder nutzen auch nur die Gelegenheit, das Baby abzugeben und ein paar Stunden zu schlafen.
Kristin besuchte das Bindungshaus während zwei Wochen jeden Tag. Sie hat mit andern Müttern und den Frauen vom Team geredet, viel geschlafen und auch psychologische Hilfe in Anspruch genommen.
Im Bindungshaus hat sie ausserdem gleich zu Beginn eine Frau kennengelernt, die dieselben Probleme wie sie selbst gehabt hatte, aber mittlerweile besser dran und eine sehr liebevolle Mutter war. «Das gab mir Hoffnung.»
«Ich glaube, postnatale Depressionen werden noch viel zu wenig thematisiert. Dabei gibt es Handlungsbedarf, denn es betrifft viele Frauen», sagt Kristin heute, also einige Monate nach ihrer Krise.
Mittlerweile besucht die frische Mutter das Bindungshaus nur noch sporadisch. Es gehe ihr wieder deutlich besser, bald fange sie wieder an zu arbeiten, erzählt sie. Und auch ihr Mutterglück geniesse sie mittlerweile sehr.