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Löffeltrick: Wie schütze ich mich vor Zwangsheirat?
Aus News Plus vom 03.10.2024. Bild: Keystone/Gaetan Bally
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Der andere Tiktok-Trend Raus aus der Hölle der Zwangsheirat – mit dem Löffeltrick

Klingt lustig, ist es aber nicht: Mit dem Löffeltrick versuchen junge Frauen, das Flughafenpersonal zu alarmieren. Denn im Ausland sollen sie zwangsverheiratet werden.

Auf Tiktok teilen junge Menschen (mehr oder weniger) Bedeutsames aus ihrem Alltag und der Welt da draussen. Manches belustigt, anderes berührt. Die Videos sind kurz, ihre Halbwertszeit ebenfalls.

Dass Social Media mehr sein kann als Zeitvertreib, belegt ein anderer Trend: So poppt immer wieder zur Ferienzeit der Hashtag #Löffeltrick auf. Was nach harmloser Bespassung klingt, hat einen ernsten Hintergrund.

Alarm schlagen am Flughafen

Der Löffeltrick liefert jungen Frauen nämlich die Anleitung, wie sie sich der Zwangsheirat und auch der Genitalbeschneidung im Ausland entziehen können. Die Idee: Ein metallener Löffel in der Kleidung soll anschlagen, wenn man am Flughafen durch den Körperscanner geht. Das Flughafenpersonal soll dann verstehen: Das ist ein Zeichen.

Der Clou: Ein Löffel stellt keine Gefahr dar, er reicht aber trotzdem aus, um von einer Beamtin aufgehalten zu werden und mit ihr sprechen zu können. Ohne, dass die eigene Familie dies unterbinden kann.

Das Schweigen brechen

Erstmals grössere Aufmerksamkeit erlangte der Löffeltrick 2013 durch die britische Menschenrechtsorganisation Karma Nirvana. Ins Leben gerufen wurde sie von Jasvinder Sanghera, einer Britin mit indischen Wurzeln.

Sie selbst erlebte im Teenageralter, wie ihre Mitschülerinnen in die Ferien nach Indien verschwanden und mit einem Ring am Finger nach England zurückkehrten. Seither setzt sie sich dafür ein, das Schweigen zu brechen. Und sie legt den Betroffenen ans Herz, sich mit dem Löffeltrick gegen die Verschleppung ins Ausland zu wehren.

Reisende vor der Sicherheitskontrolle am Flughafen San Francisco.
Legende: Frauen unter 17 Jahren sollten jedoch aufpassen, warnt Karma Nirvana: Werden sie am Flughafen herausgefiltert, komme oft ein Elternteil mit zur Kontrolle. So könnte der Versuch, sich der Ausreise zu entziehen, auffliegen – und böse Konsequenzen haben. Getty Images/Bloomberg/David Paul Morris (Symbolbild)

Anu Sivaganesan von der Fachstelle Zwangsheirat berät seit Jahren Mädchen und Frauen, die zu einer Eheschliessung in der Heimat ihrer Eltern gezwungen werden. Sie spricht von einem «verbreiteten Phänomen in der Schweiz.» Gerade zur Ferienzeit suchen Betroffene vermehrt Hilfe bei der Fachstelle, bestätigt die Juristin mit tamilischen Wurzeln.

Jahrzehntelanger Kampf gegen Zwangsheiraten

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Legende: Anu Sivaganesan Christian Schnur

Anu Sivaganesans Engagement begann früh und hatte persönliche Gründe: Schon 2001, als sie gerade einmal 14 Jahre alt war, gründete sie einen Verein gegen Zwangsheirat mit. Freundinnen waren während der Ferien in ihrem Herkunftsland, der Türkei, gegen ihren Willen verlobt worden. «Menschenrechte waren schon damals meine Leidenschaft und sind es noch immer», erklärte die Juristin in einem früheren Gespräch mit SRF.

Die Dunkelziffer bei Zwangsheiraten ist hoch. In rund vierzig Prozent der Fälle berät die Fachstelle Minderjährige. Etwa 20 Prozent der Ratsuchenden – insgesamt rund 340 Personen pro Jahr – sind Männer. Unter ihnen sind Schwule, die eine geplante heterosexuelle Ehe belastet und die Rat suchen, wie sie den Zwängen ihrer Familie entfliehen können. Andere sollen ins Ausland gebracht werden, um «diszipliniert» zu werden. Überwiegend melden sich Musliminnen und Muslime. Doch auch Hindus oder orthodoxe Christinnen und Christen kommen in die Beratung.

Manche Mädchen und Frauen werden komplett ahnungslos zwangsverheiratet. Die Betroffenen denken, sie würden in die Ferien verreisen. Einmal angekommen, werden sie verlobt oder verheiratet. In anderen Fällen werden die Betroffenen unter einem Vorwand ins Ausland gelockt. «Man sagt ihnen zum Beispiel, dass man die kranke Grossmutter besuche und baut so emotionalen Druck auf», führt Sivaganesan aus.

Junge Braut vor Massenheirat in indischem Dorf (2012)
Legende: Auch ein Ferienflirt kann fatale Folgen haben: In manchen Familien sind solche Liebeleien verpönt und die Frauen und Mädchen werden dazu gedrängt, den Mann zu heiraten. Keystone/EPA/DIVYAKANT SOLANKI (Symbolbild)

Schliesslich gibt es auch Fälle, in denen die Betroffenen nur ahnen, dass die eigene Familie plant, sie im Ausland zu verheiraten. Und manchmal wird ihnen auch ganz offen gesagt, was ansteht.

«Ein alter Zopf»

Der Löffeltrick ist Sivaganesan bekannt, sie spricht gar von einem «alten Zopf». Wichtig sei hier, dass auch das Flughafenpersonal gezielt sensibilisiert werde. «Idealerweise bekommen die Familienmitglieder nicht mit, was gerade passiert.» Dies kann gewährleistet werden, indem die betroffene Person in einen privaten Raum gebracht wird. «Dort kann sie offen erklären, dass sie nicht mitfliegen will und Hilfe braucht.»

Ist der Löffeltrick an Schweizer Flughafen bekannt?

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Legende: Sicherheitskontrolle am Flughafen Zürich. Keystone/Gaetan Bally

Am Flughafen Zürich kennt man den Löffeltrick, sagt Carmen Surber, Mediensprecherin der Kantonspolizei Zürich: «Fälle, in denen der Löffeltrick angewendet wurde, sind uns aber nicht bekannt.» Das Personal am Flughafen sei aber auf die Thematik der Zwangsheirat sensibilisiert und wisse, wie es sich verhalten müsse, wenn eine betroffene Person Hilfe suche. Am EuroAirport in Basel gab es noch keinen entsprechenden Fall. Deswegen will man sich auch nicht näher dazu äussern. Der Flughafen Genf teilt mit, dass man sich aus Sicherheitsgründen nicht zum Phänomen äussern wolle.

Behörden und Gesetzgeber bieten Schutz

Der Löffeltrick ist zwar in den Sozialen Medien sehr präsent. Viel häufiger hat aber auch die Fachstelle Zwangsheirat mit Mädchen und Frauen zu tun, die schon vor der anstehenden Ausreise Hilfe suchen. «Dann suchen wir nach Lösungen, auch in Zusammenarbeit mit verschiedenen Behörden», sagt die Juristin. Eine so simple wie effektive Möglichkeit ist es, eine Ausreisesperre auszusprechen.

Seit elf Jahren ist im Schweizer Gesetz zudem auch verankert, dass eine Ehe, die unter Zwang geschlossen wurde, für ungültig erklärt wird. Den Täterinnen und Tätern drohen Strafen von bis zu fünf Jahren Gefängnis – auch wenn die Hochzeit im Ausland stattfand.

Laut Sivaganesan kommt der Löffeltrick in Europa aber nicht allzu häufig zum Einsatz. Denn: Viele Betroffene suchen schon vorher Hilfe, andere haben sich mit ihrem Schicksal abgefunden. «Sie denken, dass sie sowieso keine Chance haben und es kein Zurück mehr gibt.» Zum Löffeltrick greifen also nur wenige – als einem letzten verzweifelten Schrei nach Hilfe.

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SRF 4 News, 03.10.2024, 17:15 Uhr ; 

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