Sie zeigen der Polizei keinen Ausweis, öffnen Briefe von Ämtern und Behörden nicht, zahlen keine Bussen und keine Steuern. Sie hegen ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Staat und nehmen ihn gar als «Firma» wahr, die einen «Geheimplan» hegt und ihnen das Geld aus der Tasche ziehen will.
Menschen, die solchen Verschwörungstheorien anhängen, sind in Deutschland unter dem Namen «Reichsbürger» bekannt geworden. Nun schwappe das Phänomen zunehmend auch in die Schweiz über, sagt der Zürcher Ombudsmann Jürg Trachsel.
SRF: Es gab schon immer Menschen, die ein gewisses Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Einrichtungen hegten. Was hat sich denn verändert?
Jürg Trachsel: Das stimmt, das hat es schon immer gegeben. Neu ist, dass Menschen, die bis anhin nicht misstrauisch waren, das Vertrauen in den Staat komplett verloren haben. Da spielt die Corona-Pandemie eine Rolle, aber es tragen auch andere Dinge dazu bei. Mit der grossen Macht des Staates wächst auch der Unmut. Wir haben eine hohe Gesetzesdichte. Wer sich dort einmal «verheddert», hat ein hohes Risiko, sich noch weiter zu verstricken. Wir müssen dafür sorgen, dass es ein bisschen weniger Gesetze und Verordnungen gibt. Da ist die Politik in der Pflicht.
Menschen haben das Vertrauen in den Staat komplett verloren.
Wie äussert sich das Misstrauen der betroffenen Menschen?
Ein Teil begreift nicht mehr, wie unser Staatswesen funktioniert und dass sie ein Teil davon sind. Sie betrachten den Staat wie eine Firma, an der man teilhaben kann oder nicht. Und wenn sie nicht wollen, nehmen sie einfach nicht teil. Das ist eine tragische Entwicklung. Ich hoffe, dieser Teil bleibt sehr klein. Er ist sehr klein – aber bis vor kurzem gab es ihn noch gar nicht.
Es geht also nicht nur darum, dass diese Menschen nicht an Abstimmungen teilnehmen, sondern sie bezahlen auch ihre Rechnungen nicht?
Genau so ist es. Diese Menschen werden dann irgendwann betrieben, verlieren ihre Stelle, sind irgendwann ganz aus der Spur und beziehen Sozialhilfe. Die nehmen sie seltsamerweise an. Aber sie machen keine Anstalten, wieder in ihr Leben zurückzufinden. Da versuchen wir unseren Teil, damit das nicht passiert.
Das Steueramt hat mir nichts zu sagen, heisst es.
Welche Fälle gelangen denn an Sie als Ombudsmann?
Es ist ganz unterschiedlich. Da sind zum Beispiel jene, die Mühe haben mit dem Steueramt. Im Gespräch mit ihnen stellt sich heraus: Sie haben nicht Mühe. Sie akzeptieren schlicht nicht, dass der Staat Steuern eintreiben kann. «Die haben mir nichts zu sagen», heisst es. Mit geschickter Rhetorik versuchen wir, ihnen den Staat wieder als Ganzes begreiflich zu machen. Dass Steueramt, Polizei, aber auch Spitäler ein Teil des Staates sind.
Wie erfolgreich waren Sie damit?
Überall waren wir nicht erfolgreich, das gebe ich offen zu. Aber es gelang uns zu einem grossen Teil, die Leute wieder in unser «Staatsboot» zurückzuholen.
Sie haben die Politik erwähnt, die Regulierungen abbauen soll. Was kann die Verwaltung dazu beitragen, um wieder mehr Vertrauen zu schaffen?
Wichtig ist, dass sie die Leute empfängt, mit ihnen spricht und ihnen die Dinge erklärt. Und sie muss ein gewisses Ermessen haben und einen Kompromiss schliessen können. So, dass die Betroffenen das Gefühl haben: Es ist gut so.
Wie schätzen Sie das ein: Könnte von diesen Menschen eines Tages auch eine Gefahr ausgehen?
Zu diesem Zeitpunkt denke ich nicht. Aber die Demokratie steht weltweit auf einem schwierigen Fundament. Da sind auch wir in der Schweiz und im Kanton Zürich betroffen. Wir dürfen sie nicht als selbstverständlich erachten und müssen immer wieder überlegen: Was können wir besser machen?
Das Gespräch führte Christoph Brunner.