Mitte Woche haben in Deutschland mehrere Tausend Polizisten Wohnhäuser von sogenannten Reichsbürgern und Staatsverweigerern durchsucht und 23 Personen verhaftet, darunter eine ehemalige Abgeordnete der AfD. Auch in der Schweiz machen Staatsverweigerer immer wieder Schlagzeilen. In den letzten Monaten nahmen die Berichte zu.
In der St. Galler Gemeinde Wittenbach wurden anonyme Briefe verschickt, mit der Behauptung, die Gemeinde sei bloss eine Firma. Ein ähnliches Muster tauchte in Baselbieter Gemeinden auf. Im zürcherischen Rikon und im sankt-gallischen Uznach wurden Privatschulen bewilligt, die nach Medienberichten Verbindungen zu Reichsbürgerkreisen haben. Im Thurgau wollten Corona-Gegner das Gericht nicht anerkennen.
Mühsam für Betreibungsämter
All diesen Schlagzeilen liegt dieselbe Ideologie zugrunde. Die Vorstellung, dass der Staat, der Kanton oder die Gemeinde bloss Firmen seien. Typischerweise bezahlen Staatsverweigerer keine Steuern oder Bussen und anerkennen weder die Polizei noch ein Gericht. Das spüren beispielsweise die Betreibungsämter, sagt Roger Wiesendanger, Leiter der Thurgauer Betreibungs- und Konkursämter.
Man sei sich zwar gewohnt, dass Leute eine Betreibung verweigern, aber: «Seit Corona und jetzt auch mit den Reichsbürgern hat das signifikant zugenommen», sagt er. Sie hätten pro Monat nicht eine solche Person, sondern wöchentlich gebe es Fälle. «Es ist signifikant, dass das bei den Reichsbürgern sehr, sehr häufig vorkommt», so der Amtsleiter.
Für die Ämter heisst es vor allem mehr Aufwand und zuweilen ein rauerer Ton seitens der Klienten. Gewalttätige Vorfälle mit Staatsverweigerern sind bis heute in der Schweiz nicht bekannt. Das bestätigt auf Anfrage der Nachrichtendienst des Bundes NDB. Weiter äussert er sich aber nicht.
Wenn es in Zukunft eine Bewegung in diese Richtung geben sollte, dann könnte aus der radikalisierten Breite auch eine gewaltbereite Spitze entstehen.
Die Reichsbürger, wie sie in Deutschland auftreten, bewegen sich oft im rechtsradikalen, antisemitischen Milieu. In Deutschland gab es auch schon etliche Auseinandersetzungen. 2016 wurde ein Polizist getötet. In der Schweiz seien die Staatsverweigerer jedoch noch wenig organisiert, sagt Soziologe Marko Kovic. Das Gewaltpotenzial sei entsprechend kleiner.
Wenn es noch nicht viele Leute gebe, die an etwas glaubten, dann sei auch das Radikalisierungspotenzial noch gering. «Wenn es aber in Zukunft eine Bewegung in diese Richtung geben sollte, dann könnte aus der radikalisierten Breite auch eine gewaltbereite Spitze entstehen», sagt Kovic.
Demokratie in Gefahr
Kovic sieht in der Bewegung der Staatsverweigerer auch eine Gefahr für die Demokratie. Denn eine Demokratie ist der Wille einer Gesellschaft, eine Demokratie zu sein. Wenn sehr viele Personen diesen Grundsatz infrage stellen würden, könne das langfristig für einen Staat gefährlich werden. Allerdings sei die Schweiz derzeit noch weit entfernt von solchen Szenarien, schliesst Kovic.