Das Wichtigste in Kürze
- Nur noch 53 Prozent der Stimmberechtigen wollen am 23. September für die Fair-Food-Initiative stimmen.
- Im Vergleich mit der ersten Umfrage von gfs.bern im Auftrag der SRG hat die Zustimmungsrate damit um 25 Prozentpunkte abgenommen.
- Hält der aktuelle Trend an, ist eine Ablehnung der Initiative sehr wahrscheinlich.
«Nichts ist in Stein gemeisselt», hielt das Institut gfs.bern bei der ersten Umfrage zur Fair-Food-Initiative fest – trotz 78 Prozent Zustimmung, was einem Rekordwert in dieser Legislatur entsprach.
Tatsächlich hat das gegnerische Lager in den vergangenen Wochen Boden gut gemacht – und das nicht zu knapp: Nur noch 53 Prozent der Stimmberechtigten wollen am 23. September ein Ja in die Urne legen. «Ein solcher Rückgang ist wirklich bemerkenswert», sagt Lukas Golder, Co-Leiter von gfs.bern.
Am Anfang ist es bei Initiativen oft so, dass die Leute ihre Sympathien bekunden. Am Schluss stimmen sie aber über die Schwächen der Vorlage ab.
Doch wie konnte die Initiative der Grünen derart einbüssen? Mit Blick auf die Parteienlandschaft wird klar, dass die Unterstützung im bürgerlichen Lager kollektiv weggebrochen ist.
Schmerzlicher Griff ins Portemonnaie
Der Hauptgrund: Am Anfang sei es bei Initiativen oft so, dass die Leute ihre Sympathien bekunden. «Am Schluss entscheiden aber viele anhand der Schwächen einer Vorlage», sagt Golder. Diese Schwächen beider Ernährungsvorlagen verortet der Politologe bei der Befürchtung, dass Lebensmittelpreise im Falle einer Annahme der Ernährungsinitiativen steigen könnten.
Diese Kostenfrage werde wahrscheinlich auch zum Stolperstein für die Fair-Food-Initiative: «Man ist sich bewusst, dass die – zwar sympathische – Idee ganz konkrete Konsequenzen beim Einkauf haben könnte.»
Innerhalb kurzer Zeit sei es den Gegnern gelungen, das Kostenargument prominent zu platzieren: «Es gab eine Art Weckruf.» Und: Die wirkliche mediale Auseinandersetzung habe erst nach der politischen Sommerpause stattgefunden – und anfängliche Sympathien in Skepsis umschlagen lassen.
Zwar treffen die Initianten mit ihrem Plädoyer für artgerechte Tierhaltung im Ausland und gegen Foodwaste den Zeitgeist, so Golder: «Es ist aber extrem schwierig, als Aussenseiter gegen eine Mehrheit anzutreten, die eine konzertierte Gegenkampagne macht.»
Grosser Zuspruch in der Westschweiz – bis jetzt
Bemerkenswert sind die grossen Unterschiede zwischen den Sprachregionen. So unterstützen nach wie vor 71 Prozent der Westschweizer die Initiative, während in der Deutschschweiz quasi ein Patt zwischen Befürwortern und Gegnern herrscht. Golder vermutet, dass die Diskussion in der Westschweiz weniger weit fortgeschritten ist. Heisst: Die Schwächen könnten auch hier noch stärker in den Vordergrund treten.
Im linken Lager geniesst die Fair-Food-Initiative nach wie grosse Unterstützung. Und: Die Stimmabsichten stehen in deutlichem Zusammenhang zur Häufigkeit des Fleischkonsums. Veganer und Vegetarier unterstützen die Initiative: «Sie entscheiden anhand ihres Alltags, ihrer Grundorientierung», so Golder.
Der Bevölkerungsanteil der «Fleischabstinenzler» ist allerdings zu niedrig, um den Abstimmungskampf entscheidend zu beeinflussen. Und auch der starke Support von links dürfte nicht ausreichen, damit sich das knappe Mehr bis zum Urnengang hält.
Ganz auf verlorenem Posten sind die Initianten aber nicht, schliesst Golder: Bei der Fair-Food-Initiative seien in gewissen Kreisen weiterhin Sympathien spürbar. Sollten diese gegenüber den Schwächen der Vorlage wieder Oberwasser bekommen, könne das Momentum wieder kippen.
«Es gibt aber auch ein Absenderproblem: Gerade in der SVP-Wählerschaft könnte eine grüne Initiative aus Prinzip etwas weniger Sympathien haben.» Kommt hinzu: Eine Trendwende, wie es sie jetzt braucht, sei bei einer linken Initiative kaum je gelungen. Golders Fazit: «Ich persönlich rechne nicht mehr mit einer Annahme der Initiative.»