In Schweizer Spitälern arbeiten viele Ärzte und Pflegefachleute, die aus Deutschland in die Schweiz gekommen sind. Der deutsche Gesundheitsminister, Jens Spahn (CDU), möchte dieses Fachpersonal zurück im Land haben, wie er dem «Sonntagsblick» sagte.
Gesundheitsökonom Heinz Locher kann ihn verstehen – denn die deutschen Fachkräfte machen doch inzwischen fast einen Fünftel des Personals im Schweizer Gesundheitswesens aus – in Spitälern, Arztpraxen und in Heimen:
«Ich habe Verständnis für diese Haltung. Sie ist eigentlich ein moralischer Appell an die Schweiz, sich nicht darauf zu verlassen, dass ausländische Steuerzahler das Personal ausbilden, das wir brauchen, weil wir in der Schweiz zu wenig ausbilden.»
Attraktiver Arbeitsort Schweiz
Die Schweiz ist attraktiv für deutsche Ärztinnen und Pflegefachpersonal. Locher äussert Zweifel, dass Jens Spahn sie zurückholen kann: «Das würde voraussetzen, dass in Deutschland eine Verbesserung der Attraktivität der Arbeitsplätze erfolgen muss, und das wird nicht leicht sein.»
Dabei denkt der Gesundheitsökonom nicht einmal zuerst an den Lohn, sondern an die Arbeitskultur, Teamgrössen oder Verantwortung, welche die Pflegefachleute in der Schweiz fänden.
Dass es aber grundsätzlich möglich ist, hat sich vor rund fünf Jahren gezeigt, als Assistenz- und Oberärzte in Deutschland bessergestellt wurden und viele wieder zurückgingen.
Neu Regelung innerhalb der EU?
Nur, Gesundheitsminister Spahn denkt weniger an solche kulturellen und finanziellen Argumente. Viel mehr denkt er laut darüber nach, ob man das Abwerben von Fachleuten aus bestimmten Berufsgruppen innerhalb der EU nicht neu regeln und somit einschränken müsse. Entsprechende Abkommen, so Spahn, gebe es bereits bei der Weltgesundheitsorganisation WHO – das könne ein Vorbild sein.
Die Schweiz hat ihre Abhängigkeit von ausländischen Gesundheits-Fachleuten erkannt und möchte sie milder, auch mit Blick auf die WHO-Empfehlungen: Sie hat zusätzliche Studienplätze in Medizin geschaffen und die Kantone verpflichten ihre Spitäler und Heime, genügend eigenen Nachwuchs auszubilden.
Neue Berufsbilder
Das reicht aber nicht, sagt Gesundheitsökonom Locher: «Diese Ausbildungsoffensive müsste man verdoppeln oder verdreifachen, wenn ich daran denke, dass zum Beispiel die heutige Generation aktiver Ärzte nicht ersetzt werden muss 1:1, sondern 1:2 oder gar 1:3.»
Locher schlägt vor, Berufsbilder aufzubrechen, so wie das in Pilotprojekten bereits geschieht. Etwa bei der Praxis-Assistenz, bei welcher Pflegefachleute ärztliche Aufgaben übernehmen.
Bis die Hälfte dieser Aufgaben könnte man anderen Berufsgruppe ohne Qualitätsverlust übertragen, sagt Locher. «Das Problem ist, dass auch diese knapp sind und man die Berufsbilder überprüfen muss, denn sie sind nicht ideal.»
Das Schweizer Gesundheitswesen strotzt derzeit aber nicht gerade vor Reform-Willen. Es harzt bereits bei den flexiblen Arbeitsmodellen, welche es Gesundheits-Fachleuten erleichtern würden, Beruf und Familie zu vereinen.
Gerade sie wären wohl die ersten, welche einspringen müssten, wenn Jens Spahns Idee sich durchsetzt und eine spürbare Rückwanderung von Ärzten und Pflegefachpersonal nach Deutschland einsetzen sollte.