Es könnte so schön sein. Nachdem der Mai ins Wasser gefallen ist, bricht sich nun der Frühsommer Bahn: Die Vögel zwitschern, am Himmel ziehen heitere Cumuluswolken vorüber, und nach einem sonnengetränkten Pfingstwochenende geht’s gutgelaunt zurück ins Büro.
So weit zumindest die Theorie. Tatsächlich aber durchleben derzeit viele Menschen ein alljährlich wiederkehrendes Martyrium. Die Augen brennen, die Nase juckt, der Rachen kratzt und krächzt. Das Schniefen, Niesen und Hüsteln ist zum Soundtrack der Nation geworden. Es ist Heuschnupfen-Saison.
Rund 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung sind von einer Pollenallergie betroffen. Seit Jahren steigt diese Zahl kontinuierlich an. Warum das so ist, weiss Peter Schmid-Grendelmeier, Leiter der Allergiestation am Universitätsspital Zürich. «Einerseits haben in der Schweiz viele Leute die genetische Veranlagung für Heuschnupfen. Andererseits ändert sich der Pollenflug – also die Menge und die Art des Pollens.»
Kommt hinzu: Der Pollen ist für allergische Erkrankungen über die Jahre «aggressiver» geworden. «Er löst heute mehr Beschwerden aus als noch vor einigen Jahrzehnten.»
Damit ausgehend von einer genetischen Veranlagung auch Beschwerden ertstehen, muss man mit den entsprechenden Allergieauslösern Kontakt haben. «Bei den Pollen sind das vor allem windbestäubte Pollen, die über weite Distanzen fliegen», erklärt Schmid-Grendelmeier.
Eine Allergie befeuern können auch Infektionen oder Schadstoffe wie Plastikpartikel, die die Barrierefunktion der Schleimhäute angreifen.
Die Schattenseite der properen Schweiz
Und schliesslich hat unser sauberes Leben eine Schattenseite: Es begünstigt nämlich Allergien. In der Forschung spricht man dabei von der Hygiene-Hypothese, wie der Mediziner ausführt. «Wenn etwa im jungen Alter wenig Keime auf das Immunsystem treffen, kommt es auf die dumme Idee, stattdessen Allergien auszulösen.» So haben Forschende festgestellt, dass Allergien in Ländern weniger verbreitet sind, in denen Menschen öfter an Parasiten wie Würmern leiden.
Genetische Veranlagung, aggressivere Pollen und eine Art Hygiene-Paradox: Das klingt fast schon nach dem perfekten Sturm, der über die Schweiz hereinbricht. Wer zu den Glücklichen gehört, die bislang verschont geblieben sind, kann sich leider nicht zurücklehnen. Denn Allergien kann man auch erst im Erwachsenenalter entwickeln.
Ob und wann eine Allergie entsteht, lässt sich kaum voraussagen: Neben Umweltfaktoren und Veranlagung dürften hier auch veränderte Ernährungsgewohnheiten eine Rolle spielen, schliesst der Experte. «Unsere Darmflora beeinflusst das Immunsystem auch. Man kann allerdings noch nicht sagen, welche Ernährung ideal ist, um Allergien herunterzuregulieren.»