«Wir sind alle ratlos.» Die Frage nach dem Warum konnte auch eine Woche später niemand beantworten. Sanija Ameti schoss auf ein Marienbild und stellte das Ganze anschliessend ins Netz. Dass es ein Fehler war, bezweifelte im «Club» niemand, kritisiert wurde aber auch die öffentliche Demontage von Ameti.
In der medialen Eskalation nach der Aktion sieht Urs Leuthard eine grundsätzliche Problematik. In der heutigen medialen und politischen Gesellschaft gäbe es die Tendenz, dass man immer schneller reagieren und sich immer klar positionieren müsse, sagt der Leiter der SRF-Bundeshausredaktion. «Darunter leidet die Verhältnismässigkeit.» Das spürten Parteien, Firmen und auch Medien.
Früher habe es ein «Wir» gegeben, sagt die Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes, Simone Curau-Aepli. Heute fühle sich jeder betroffen und legitimiert, seine Meinung in die Welt hinauszurufen: «Das finde ich höchst problematisch». Die sozialen Medien böten für zugespitzte Aussagen die perfekte Plattform.
Provokation in der Politik
Provokation und Polarisierung haben auch in der Politik stark zugenommen, sagt Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter: «Es ist immer einfacher, mit Schwarz und Weiss zu argumentieren.» In der Politik solle man solide Arbeit machen und nicht mit Provokation Aufmerksamkeit erwecken.
Für Juso-Präsidentin Mirjam Hostetmann ist Provokation in Zeiten der hart umkämpften Aufmerksamkeit ein legitimes Mittel. Für einen Tweet, in dem sie Unternehmer Peter Spuhler im Rahmen der Erbschaftssteuer-Initiative angriff, entschuldigte sich die Jungpolitikerin kürzlich. Es sei ihr um die Sache gegangen, verletzen wollte sie niemanden. Heute sei es immer schwieriger, Themen zu platzieren und auf Missstände aufmerksam zu machen. Trotzdem sei es wichtig, dass Provokation kein reiner Selbstzweck sei. «Ansonsten hat man am Ziel vorbeigeschossen.»
Das sieht auch Camille Lothe so. Als Präsidentin der Stadtzürcher SVP kämpfte sie vor fünf Jahren gegen ein schärferes Waffengesetz. Ein Video, in dem sie ein Sturmgewehr in die Kamera hielt, sorgte damals für einen Aufschrei. «Das war der Inbegriff der gescripteten Provokation. Das war von A bis Z durchgeplant.» Bis alles sass, wurden 25 Aufnahmen gemacht. Provokation als Schnellschuss gehe niemals auf, denn man riskiere die Kontrolle zu verlieren.
Wie weiter?
Laut Barbara Schwede war die Eigendynamik im Netz ein Grund, warum der Fall Ameti so eskaliert ist. Die Kommunikationsexpertin berät Firmen und Privatpersonen bei Shitstorms. Weil das Internet nicht vergesse, sei es für öffentliche Personen schwierig, ihren Namen wiederherzustellen. «Wichtig ist, dass man Veränderungen zeigen kann, wenn sich die Wogen geglättet haben.» Nach einem Fall wie bei Ameti brauche es viel Arbeit mit Suchmaschinen und Social-Media-Firmen.
«Es ist gefährlich für unsere Demokratie, wenn wir die Kontrolle verlieren», sagt Mirjam Hostetmann und fordert mehr staatliche Regulierungen im Netz. Doch Elisabeth Schneider-Schneiter sieht die Gesellschaft in der Verantwortung. Provokationen fänden auch ausserhalb der sozialen Medien vermehrt statt. «Wir müssen uns alle an der Nase nehmen.»
Als Journalist lerne er, genauer hinzuschauen und vorsichtiger zu sein, sagt Urs Leuthard. In der Gatekeeper-Rolle sollte man nicht noch mehr Öl ins Feuer giessen.