Endlich Feierabend. Wer entkräftet ins Tram steigt und sich gedanklich aufs Sofa verabschiedet, prallt oft an der harten Realität ab. Denn beim Blick aufs Handy ist die Arbeit gleich wieder ganz nah: Die Chefin braucht dringend Unterlagen für eine Präsentation, der Arbeitskollege sucht eine Abrechnung und die Kundin möchte einen Termin verschieben.
Im digitalen Zeitalter gerät die Work-Life-Balance leicht aus den Fugen. Und mit ihr das psychische Wohlbefinden, bis hin zum Burn-out. Nicht nur in Australien ist das Problem längst erkannt.
Das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit
Dort hat nun aber das Parlament reagiert – und zwar per Gesetz. Neu gilt im ganzen Land das «Right to disconnect», das Recht auf Abschalten. Nach Feierabend müssen Arbeitnehmende künftig nicht mehr erreichbar sein. Anrufe, Mails und Co. dürfen getrost ignoriert werden.
«Wir möchten sicherstellen, dass Menschen, die nicht 24 Stunden am Tag bezahlt werden, auch nicht 24 Stunden am Tag arbeiten müssen», sagte Premierminister Anthony Albanese in einem Interview mit dem australischen Sender ABC. «Es ist auch eine Frage der psychischen Gesundheit, denn es geht darum, dass die Menschen von ihrer Arbeit Abstand gewinnen und sich wieder ihrer Familie und ihrem Leben widmen können.»
Ein Modell für die Schweiz?
Hierzulande dürften die Worte auf fruchtbaren Boden fallen. Gemäss einer aktuellen Umfrage von Travailsuisse arbeiten über 60 Prozent der Arbeitnehmenden regelmässig in der Freizeit. «Dadurch bleibt zu wenig Zeit für Familie und Soziales und es fehlen Ausgleich und Erholungsmöglichkeiten», kritisiert die Gewerkschaftsorganisation.
Die Befragung zeigt auch, dass Stress und Erschöpfung am Arbeitsplatz seit Jahren ansteigen. Braucht es also auch bei uns ein Recht auf Abschalten? Für die mentale Gesundheit der Arbeitnehmenden sei es entscheidend, sich in der Freizeit «ausklinken» zu können, sagt die Arbeits- und Organisationspsychologin Nicola Jacobshagen. «Wenn man 24/7 erreichbar sein muss, ist es schwierig, sich vom Job zu erholen.»
Allerdings steht es schon heute jedem und jeder frei, einen Anruf nicht entgegenzunehmen oder die Mailbox nicht zu checken. Ob man die Arbeit wirklich ruhen lässt, ist für die Psychologin vor allem auch eine Frage der Unternehmenskultur: «Wenn Führungskräfte und Mitarbeitende vorleben, dass sie jederzeit erreichbar sind, macht man das selbst auch.»
Jacobshagen bezweifelt jedoch, dass sich eine neue Unternehmenskultur per Gesetz verordnen lässt: Wenn sich das Verhalten im Betrieb nicht grundlegend ändert, bleibt der Druck auf einzelne Angestellte trotz ihres «Rechts auf Abschalten» hoch. Aus Angst, als unmotiviert oder weniger leistungsbereit dazustehen, sind sie allzeit bereit.
Juristisch ist es zudem schwierig, allfällige Verfehlungen zu verfolgen. In Australien soll künftig eine Schlichtungsstelle angerufen werden können, wenn es zum Clinch in einem Betrieb kommt. Erst, wenn sich keine Lösung finden lässt, sollen Arbeitsgerichte entscheiden. Letztlich dürfte die Politik wohl auch darauf hoffen, dass «Right to disconnect» als Weckruf verstanden wird. Denn gesundes Personal ist auch im Interesse der Arbeitgeber.
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