«Nein heisst Nein» – das gilt seit drei Monaten bei einer Vergewaltigung. Das neue Sexualstrafrecht, das am 1. Juli 2024 in Kraft getreten ist, ist eine der wichtigsten Gesetzesrevisionen der vergangenen Jahre. Doch was bedeutet die Änderung und was bringt sie? Die Ärztin Rahel Schmidt zieht eine erste Bilanz.
SRF News: Was bedeutet der neue Grundsatz «Nein heisst Nein» im Sexualstrafrecht?
Rahel Schmidt: Die Artikel des Strafgesetzbuches, die sich auf Vergewaltigung beziehen, wurden dahingehend angepasst, dass eine ausdrückliche Ablehnung erforderlich ist. Das bedeutet, dass das Opfer einer Vergewaltigung sich verbal oder durch körperlichen Widerstand äussern kann, wenn es dem sexuellen Akt nicht zustimmt.
Nun können Personen jeden Geschlechts als Opfer einer Vergewaltigung anerkannt werden.
Auch Schockstarre wird neu als Ablehnung gewertet. Dies ist eine Änderung, denn bisher musste physische oder psychische Gewalt vorliegen, damit eine Vergewaltigung strafrechtlich verfolgt werden konnte. Zudem können nun Personen jeden Geschlechts als Opfer einer Vergewaltigung anerkannt werden.
Was sind die Veränderungen in der Praxis nach den ersten drei Monaten?
In meiner Arbeit hat sich vor allem die Aufklärung der Opfer verändert. Seit dem 1. Juli kann ich ihnen versichern, dass sich die Gesetzeslage geändert hat und sie im Fokus stehen. Wenn jemand nach einer Vergewaltigung ins Spital kommt, ist es meine Aufgabe, dem Opfer Sicherheit zu vermitteln, es emotional aufzufangen und eine akutmedizinische Untersuchung durchzuführen. Bei Gewaltdelikten kommt die Spurensicherung hinzu, die das Pflegepersonal gemeinsam mit der Polizei durchführt.
Trauen sich seit der Verschärfung mehr Opfer nach einer Vergewaltigung ins Spital, um sich behandeln zu lassen?
Die Zeit ist noch zu kurz, um dazu eine Aussage zu treffen.
Können Sie in anderen Bereichen bereits erste Schlussfolgerungen ziehen?
Erstaunlich wenig im medizinischen Bereich. Ich hätte mir gewünscht, dass da schon mehr passiert wäre. Wir haben jetzt das neue Sexualstrafrecht und das ist super, aber die Arbeit fängt jetzt erst an. Meiner Meinung nach muss sich gerade in der Erstbetreuung noch sehr viel ändern. Wo sich schon eine Veränderung abzeichnet, ist natürlich in der Justiz. Das höre ich auch von den Juristinnen und Juristen.
Werden damit nicht die Kritikerinnen und Kritiker bestätigt, die meinen, das neue Sexualstrafrecht ändere nichts?
Nein, dem würde ich widersprechen. Wir haben über die Änderungen gesprochen, und sie waren dringend notwendig. Doch ein Sexualdelikt ist in den meisten Fällen ein Vier-Augen-Delikt und da braucht man eine sichere Beweislage, die ganz am Anfang des Prozesses steht.
Wir müssen mehr modernisieren.
Wenn wir uns einen Zug anschauen, dann haben wir mit dem revidierten Sexualstrafrecht den letzten Waggon modernisiert. Wir müssen aber bei der Lokomotive anfangen, dass Opfer und Behörden schnell Beweise sichern. Die Waggons dazwischen wären Opferhilfe, Beratung, Anwaltschaft und so weiter. Wir müssen den ganzen Zug modernisieren, damit er gut und sicher fahren kann.
Das Gespräch führte David Karasek.