Die sexuelle Selbstbestimmung dürfte bald gesetzlich verankert sein. Allerdings muss dem neuen Gesetz nun eine konsequente Sensibilisierung folgen.
Der Ständerat bleibt beim «Nein heisst Nein», nimmt aber den Tatbestand des sogenannte Freezings – die Schockstarre – ins Gesetz auf. Mit diesem Kompromiss sind auch die Linken zufrieden, die vorher für die Lösung «Nur Ja heisst Ja» gekämpft haben. Die Räte dürften das Gesetz bald zu Ende beraten.
Ein grosser Schritt
Die Revision ist zwar noch nicht fertig beraten, es verbleiben Differenzen. Was man aber schon jetzt sagen kann: Die sich abzeichnende Gesetzesänderung ist eine klare Verbesserung gegenüber dem alten Gesetz. Die Ausdehnung des Tatbestandes der Vergewaltigung und die Einführung des Tatbestandes des sexuellen Übergriffs sind wichtige Änderungen. Neu braucht es keinen Zwang, keine Gewalt mehr, damit Geschlechtsverkehr gegen den Willen einer Person als Vergewaltigung gilt. Ein Meilenstein. Eine überfällige Neuerung.
Der Kompromiss ist ein Durchbruch, keine Frage. In der Praxis ist mit dem Buchstaben des Gesetzes allein aber noch wenig gewonnen.
Viele Probleme bleiben
Die Revision des Gesetzes weckt hohe Erwartungen. Erwartungen, die teilweise nicht erfüllt werden können. Nicht nur, weil Sexualdelikte als Vieraugendelikte schwierig zu beweisen bleiben. Viele Opfer von Vergewaltigungen werden auch künftig auf eine Anzeige verzichten, weil oft Scham im Spiel ist oder weil dem Opfer nahestehende Personen die Tat begangen haben. Noch immer werden Opfer von Vergewaltigungen häufig nicht oder zu wenig ernst genommen.
Das neue Gesetz wird auch nicht ändern können, dass Opfer lange Befragungen über sich ergehen lassen müssen. Im Gegenteil. Gerade weil Gewalt nicht mehr nötig ist für den Tatbestand der Vergewaltigung, werden eingehende Befragungen umso wichtiger sein.
Noch viel Arbeit
Dies alles kann das Gesetz nicht. Was die Revision aber schon jetzt ausgelöst hat, ist der gesellschaftliche Dialog. Das Bewusstsein, dass sexuelle Handlungen nur in gegenseitigem Einverständnis stattfinden dürfen, ist in der breiten Bevölkerung angekommen. Auch die Einsicht, dass ein Nein ernst zu nehmen und zu respektieren ist.
Klar ist: Der Abschluss der Gesetzesrevision muss der Anfang eines Dialogs sein. Dieser Dialog soll nicht nur mit Täterinnen und Tätern geführt werden, die neu zu Gewaltberatungen und Lernprogrammen geschickt werden können. Der Dialog, der in der Bevölkerung schon eingesetzt hat, muss vor allem auch bei den involvierten Behörden fortgeführt werden. Polizisten, Sozialarbeiterinnen, Staatsanwältinnen, Opferschutzvertreter, Anwältinnen – sie alle müssen weiter sensibilisiert werden. Denn nur mit ihrer Hilfe können sich die Opfer richtig wehren, können Täterinnen und Täter verurteilt werden. Dieser Dialog hat erst begonnen.