Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) hat eine Beschwerde gegen eine Erstversion dieses Artikels gutgeheissen. Hier der Link zum Entscheid. Der Artikel war nach der Erstpublikation inhaltlich ergänzt und sprachlich angepasst worden. Die vorliegende Version des Artikels wurde einstimmig als sachgerecht beurteilt.
Sie beissen oder schlagen Klassengspänli, schmeissen Bücher durchs Klassenzimmer, gehen auf Lehrpersonen los: Kinder, die ihre Impulse nicht kontrollieren können, bringen Lehrerinnen und Lehrer in der ganzen Schweiz an den Anschlag.
Und sie lösen Kritik aus am Grundsatz der integrativen Schule – dass nämlich möglichst alle Kinder in Regelklassen unterrichtet werden sollen, egal welche Voraussetzungen sie mitbringen.
Diese Kritik gibt es in praktisch allen Kantonen, besonders laut ist sie aber in Basel. Dort fordert eine Initiative aus dem Umfeld des Lehrerinnen- und Lehrerverbands inzwischen spezielle Förderklassen für Kinder, die Mühe mit dem Schulbetrieb in einer Regelklasse haben.
Eigene Klassen für Kinder, die «sofort austicken»
Genau diesen Ansatz verfolgt neu auch der Kanton Luzern: Ab kommendem Schuljahr führt er versuchsweise während drei Jahren vier Sonderschulklassen ein. Vorgesehen seien sie für Kinder mit Verhaltensproblemen und Schwierigkeiten in der sozial-emotionalen Entwicklung, sagt Martina Krieg, Leiterin der kantonalen Dienststelle Volksschulbildung.
«Diese Kinder wissen schon im Kindergarten nicht, wie man sich in einer Gruppe verhält», sagt sie. «Sie können nicht warten, sie ticken sofort aus, wenn ihnen etwas nicht passt.»
In betreuten Sonderschulklassen in der Stadt Luzern und der Landgemeinde Schötz sollen sie dies nun lernen. Einige der zugewiesenen Kinder haben die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung.
Kinder sollen nicht separiert werden wie in Kleinklassen
Eine Abkehr von der Praxis des integrativen Unterrichts sei das nicht, betont Martina Krieg. Und schon gar nicht eine Rückkehr zum früheren Modell der Kleinklassen. «Kinder mit kognitiven Schwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten wurden damals separiert von anderen Klassen unterrichtet. Das ist definitiv nicht unsere Idee.»
Die Sonderschulklassen sollen vielmehr in ganz gewöhnlichen Schulhäusern eingerichtet werden. Sie sollen zwar von Fachleuten betreut, nicht aber von den Kindern der Regelklasse getrennt werden. Und, so Martina Krieg: «Das Ziel ist, dass sie wieder in eine Regelklasse integriert werden können.»
Positive Rollenbilder auf dem Pausenplatz
Peter Bigler erhofft sich einiges vom Pilotversuch. Er ist Schulleiter in Schötz, wo zwei der neuen Sonderschulklassen eingerichtet werden, mit jeweils sechs Kindern und zwei Lehrpersonen.
An seiner Schule habe es Schwierigkeiten mit Kindern gegeben, die «sehr schnell aus der Haut fahren» und im gewöhnlichen Klassenverbund nicht mehr betreut werden können, sagt er – während es gleichzeitig an Sonderschulen keine Plätze für sie gebe.
«Ich hoffe, es gelingt uns, den Kindern in unseren neuen Sonderschulklassen dabei zu helfen, ihre emotionalen Schwierigkeiten zu überbrücken und ihnen Methoden mitzugeben, wie sie damit umgehen können», sagt Bigler.
Er setzt dabei auf die Spezialisten im Unterricht – aber auch auf die Nähe zu den anderen Schulkindern. «Auf dem Pausenplatz und Schulweg werden diese Kinder Kontakt zu Gleichaltrigen aus den Regelklassen haben. Das gibt ihnen die Möglichkeit, positive Rollenbilder zu übernehmen.»
Auf dem Pausenplatz werden sie Kontakt zu Gleichaltrigen aus den Regelklassen haben.
Das könne helfen, um schwierige Kinder nach einer gewissen Zeit wieder eine gewöhnliche Klasse zu versetzen, so Bigler: «Ich hoffe auf eine hohe Reintegrationsquote – und dass die Kinder höchstens drei Jahre in einer Sonderschulklasse verbringen.»