Die Stadt Chur will mit einem Konsumraum gegen eine der grössten offenen Drogenszenen der Schweiz vorgehen. Diese Woche erläuterte der Stadtrat seine Pläne an der Sägenstrasse. Die Liegenschaft wurde unter 25 Standorten als die geeignetste ausgewählt. Doch dort, mitten im Wohnquartier, regt sich Widerstand von Anwohnerinnen und Anwohnern.
Ein Konsumraum sei an sich eine gute Sache, aber nicht in diesem Quartier, wo Familien mit Kindern wohnen. «Es gehört hier nicht hin. Die ganze Institution gehört an den Brennpunkt, dort, wo das Elend ist», sagt ein Anwohner vor der Informationsveranstaltung der Stadt.
Eine andere Anwohnerin meint: «Der Standort ist nicht der richtige. Er sollte im Stadtpark sein, dort, wo diese Menschen sind. Aber nicht vor meinem Haus.»
30 bis 40 Suchtkranke pro Tag
Auch Brigitta Gamm, die zusammen mit ihrem Komitee Unterschriften gegen den Konsumraum an der Sägenstrasse sammelt, stört sich: «Es wird bereits über das Wie gesprochen, nicht mehr über das Ob. Das finde ich extrem übereilig und macht mich traurig.» Der Infoabend findet derweil hinter verschlossene Tür statt.
Auf dem Gelände der Sägenstrasse sollen neben der bestehenden Baracke neue Containergebäude entstehen. Täglich könnten hier rund 30 bis 40 Suchtkranke ein und aus gehen, schätzt die Stadt. Am neuen Standort soll die Szene unter Kontrolle sein, die Suchtkranken würden so von ihrem momentanen Platz im Stadtgarten weggelotst – zumindest tagsüber.
Im Stadtgarten spielt sich die offene Churer Drogenszene seit 20 Jahren ab. Heuer wird immer mehr Freebase konsumiert: mit Ammoniak aufgekochtes Kokain, das geraucht wird. Ein Suchtkranker, der seit 40 Jahren im Methadonprogramm ist, sagt: «Die Leute haben das Gefühl, dass wir Ausserirdische sind. Oder sonst kaputt. Das sind normale Menschen, mit denen man reden kann. Es sind nicht alle verwirrt.»
Verlagern sich die Suchtkranken ins familiäre Quartier, befürchten die Anwohnerinnen und Anwohner mehr Gewalt, Einbrüche, Diebstähle und Beschaffungskriminalität; oder «dann liegen die vielleicht in unseren Tiefgaragen».
Wir machen uns Sorgen, dass sich unser Quartier entsetzlich ändern wird.
Der zuständige Stadtrat Patrik Degiacomi versteht, dass die Leute Angst haben. Er relativiert aber: «Wir haben jetzt rund um den Stadtgarten nicht das grössere Problem. Im Gegenteil, denn dort ist der Kontrolldruck grösser. Diese Leute wollen ja nicht erwischt werden.» Hinzu komme, dass die Sicherheitsmassnahmen im Quartier intensiviert würden.
Nach der Informationsveranstaltung sind die Anwohnerinnen und Anwohner ernüchtert. Die Baupläne der Stadt seien zur Nebensache verkommen. Vielmehr habe es eine Grundsatzdiskussion über den Standort gegeben. Komiteemitglied Brigitta Gamm: «Wir machen uns Sorgen, dass sich unser Quartier entsetzlich ändern wird und dass liebe Menschen Angst haben und wegziehen.»
Abstimmung über Rahmenkredit im Juni
Am 9. Juni stimmt die Stadt Chur über einen Rahmenkredit von 3.9 Millionen Franken für den Bau des neuen Konsumraums ab. Die Finanzierung ist unabhängig vom Standort. Der Stadtrat will Gas geben. Kommt es zu einer Baubewilligung, dürften allerdings Einsprachen folgen. Ursprünglich hätte der neue Konsumraum in Chur im Sommer 2024 eröffnet werden sollen. Nun ist die Eröffnung für Ende Jahr geplant.