Der Druck aus den USA auf die Schweiz nimmt zu. Im Zusammenhang mit einer russischen Steueraffäre übte die US-amerikanische Helsinki-Kommission letzte Woche harsche Kritik an der Schweiz. Diese gipfelte in der Forderung, drei Schweizer – unter ihnen Ex-Bundesanwalt Michael Lauber – seien auf eine Sanktionsliste zu setzen.
Die implizite Kritik aus den USA: Die Schweiz sei russlandfreundlich und stelle ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland über das Recht, was vor dem Hintergrund des russischen Kriegs gegen die Ukraine besonders verwerflich sei.
Die jüngste Kritik aus den USA steht in einer Reihe von mehreren Druckversuchen auf die Schweiz in den letzten Monaten. So wurde der Schweiz etwa vorgeworfen, sie setze die Sanktionen gegen russische Oligarchen ungenügend um, oder sie helfe Russland, indem sie Wiederausfuhren von Kriegsmaterial an die Ukraine verbiete.
Borer: Der Schweiz droht Anklage
Der ehemalige Botschafter Thomas Borer hat grosse Erfahrung im Krisenmanagement. So leitete er unter anderem die Taskforce des Bundes «Schweiz – Zweiter Weltkrieg», bei der die Schweiz massiv unter Druck stand wegen Raubgold auf Schweizer Banken und nachrichtenlosen Vermögen.
Borer sagt in der «Tagesschau» zur aktuellen Situation: «Noch haben wir ein kleines Problem. Aber wenn man Probleme nicht richtig angeht, können diese zu grossen Krisen werden.» Wenn die Schweiz jetzt nicht handle, drohe sie auf der Anklagebank zu landen.
Man muss auf allen Kanälen gegenüber den Amerikanern darlegen, dass wir Schweizer im Geldwäschereibereich ein vorbildliches Land sind.
Borer rät dem Bundesrat darum eine zweistufige Vorwärtsstrategie. Als Konzession solle der Bundesrat der Taskforce der G7 zum Aufspüren von russischen Oligarchengeldern beitreten – etwas, was die USA schon lange fordern, die Schweiz bisher aber ablehnt.
In einem zweiten Schritt solle der Bundesrat eine offensive Kommunikation wählen: «Man muss auf allen Kanälen gegenüber den Amerikanern darlegen, dass wir Schweizer im Geldwäschereibereich, aber auch bei der Blockierung von russischen Oligarchengeldern ein vorbildliches Land sind.»
Auch der Historiker Sacha Zala betont, die Schweiz müsse die Situation ernst nehmen. Sie könne heute nicht mehr damit rechnen, als Kleinstaat unter dem Radar zu bleiben. «Die Schweiz ist eine wirtschaftliche Macht. Eine Grossmacht. Und alle ihre Handlungen haben Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen. Und die Grossmächte haben Mittel, ihre Interessen durchzusetzen. Das Bankgeheimnis lässt grüssen», so Zala.
Fall Magnitski als Auslöser
Hintergrund der jüngsten Kritik aus den USA ist der Fall Magnitski. Der Finanzfachmann Sergei Magnitski hatte einen Betrug von russischen Steuerbeamten im Umfang von 230 Millionen US-Dollar aufgedeckt. In der Folge wurde Magnitski ins Gefängnis gesteckt, wo er später starb.
Ein Teil der Gelder landete auf Schweizer Bankkonten. Die Schweizer Bundesanwaltschaft führte ein Verfahren, stellte dieses aber 2021 ein. Wegen des Verhaltens der Bundesanwaltschaft in diesem Verfahren fordert die Helsinki-Kommission unter anderem die Sanktionierung des damaligen Bundesanwalts Michael Lauber.
Doch jetzt wird auch Kritik aus der Schweiz laut. Und zwar von Andreas Gross. Der ehemalige SP-Nationalrat sagt gegenüber der Sendung «10vor10», der Schweizer Rechtsstaat habe im Fall Magnitski versagt. Gross ist einer der besten Kenner des Falls in der Schweiz. Er hatte 2013 im Auftrag des Europarats eine Untersuchung durchgeführt.
Ich kam mir vor wie in Moskau, beziehungsweise in Moskau wäre ich noch anständiger behandelt worden als in Bern.
Ähnlich wie die Helsinki-Kommission äussert auch Gross Zweifel an der Unparteilichkeit der Bundesanwaltschaft. Er sei 2016 zu einer Einvernahme geladen worden. Dabei habe er den starken Eindruck erhalten, die Bundesanwaltschaft sei gar nicht an einer Aufklärung des Falls interessiert, sondern habe seinen Bericht für den Europarat in Zweifel ziehen wollen.
«Ich kam mir vor wie in Moskau, beziehungsweise in Moskau wäre ich noch anständiger behandelt worden als in Bern», so Gross. Seine Vermutung nach der Einvernahme: Bundesrat und Bundesanwaltschaft hätten Russland schonen wollen. Hauptsache, die Geschäfte mit Russland liefen ungestört weiter.
Der damalige Bundesanwalt Michael Lauber, dessen Amt diese Einvernahme in Auftrag gab, schreibt zur Kritik: «Als ehemaliger Bundesanwalt bin ich an das Amtsgeheimnis gebunden. Aussagen zum Verfahren und zu allfälligen diesbezüglichen Vorwürfen sind mir deshalb verwehrt.»
Andreas Gross fordert jetzt, die Schweiz müsse das Verfahren im Fall Magnitski wieder aufnehmen.