Bei RSI spricht der US-Botschafter in Bern über die drängendsten Dossiers zwischen den USA und derSchweiz: Von der CS-Übernahme durch die UBS über das Aufspüren russischer Oligarchengelder bis hin zum Schweizer Wiederausfuhrverbot von Kriegsmaterial. Im letzten Punkt spricht Scott C. Miller gegenüber dem «Freund Schweiz» Klartext: Man habe Verständnis für die Schweizer Neutralität – ein Verbot der Wiederausfuhr von Waffen spiele aber dem Aggressor Russland in die Hände.
SRF News: Sind die USA mit der Lösung für die Credit Suisse zufrieden?
Scott C. Miller: Wir sind sehr froh, dass alle Beteiligten in der Schweiz eine Lösung für die Credit Suisse finden konnten. Die Folgen eines Scheiterns der CS hätten für die Finanzwelt schwerwiegende Auswirkungen gehabt.
Sie waren früher als Banker bei der UBS tätig. War die Übernahme etwas, das Sie persönlich betroffen hat?
Als Botschafter musste ich alle meine Beteiligungen verkaufen, bevor ich den Posten übernommen habe.
Die «Financial Times» sprach von grossem ausländischem Druck auf die Schweiz, insbesondere aus den USA.
Ich habe hier keinen spezifischen Druck von Bern aus ausgeübt. In Anbetracht der Schnelligkeit und der Dynamik dieser Situation kann ich keinen spezifischen Druck feststellen, der von meinem Team oder mir ausging.
Die Übernahme der Sanktionen durch die Schweiz war historisch.
Aber es gab Telefonate zwischen US-Finanzministerin Janet Yellen und Bundesrätin Karin Keller-Sutter.
Ich denke, dass Ministerin Yellen diese Situation sehr aufmerksam verfolgt hat. Alle Finanzminister in den Vereinigten Staaten sind um die Gesundheit des Finanzsystems weltweit besorgt. Ich kann mir also vorstellen, dass sie unter Amtskollegen mehrere Anrufe führten. Die USA respektieren die Fähigkeiten der Schweiz, komplexe finanzpolitische Fragen zu regeln.
Glauben Sie, dass die Schweiz mit dieser Lösung die Situation auf dem Finanzmarkt retten konnte?
Wenn man sich anschaut, wie sich die Märkte in den letzten Tagen verhalten haben, scheint es, als ob diese Lösung gut gewesen ist. Die Nachricht wurde von allen Märkten gut aufgenommen, angefangen in Asien, als die ersten Märkte öffneten, bis hin zu den USA am selben Tag.
Zu Beginn des Krieges in der Ukraine warnten Sie Schweizer Banker vor Konsequenzen, sollten sie nicht aktiver nach Oligarchengeldern suchen. Das US-Justizministerium führt eine Untersuchung wegen möglicher Verstösse durch. Was sind die Konsequenzen aus dieser Situation?
Ich bin seit dem 22. Januar 2022 in der Schweiz. Seither ist viel passiert. Die Übernahme der Sanktionen durch die Schweiz war historisch. Die Welt hat das zur Kenntnis genommen, und ich bin der Schweiz dafür sehr dankbar, da dies auch Ausdruck laufender Bemühungen ist.
Die Vereinigten Staaten vertreten den Standpunkt, dass ein Verbot der Wiederausfuhr in dieser Situation dem Aggressor zugutekommt und der Ukraine die Möglichkeit nimmt, sich selbst, ihre Bevölkerung und ihre Infrastruktur zu verteidigen.
Wir zählen die Schweiz als Partner, wenn es darum geht, russische Gelder aufzuspüren, die ihren Weg in alle Bankensysteme gefunden haben, nicht nur in der Schweiz, sondern auch in den USA und bei anderen Verbündeten und Partnern. Wir begrüssen die Anstrengungen der Schweiz. Wir möchten aber, dass das Momentum erhalten bleibt und versichern sie unserer politischen Unterstützung.
In Schweizer Banken befindet sich bekanntlich viel russisches Geld. Macht die Schweiz genug, um Gelder russischer Oligarchen einzufrieren?
Mit unseren Verbündeten in Europa arbeiten wir daran, alle Gelder russischer Oligarchen zu finden, die sanktioniert wurden. Es ist uns völlig klar, dass die laut Schweizerischer Bankiervereinigung mehr als hundert Milliarden Dollar an russischen Geldern in der Schweiz nicht alle sanktionsfähig sind. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, um Trusts, Unternehmen und andere Einrichtungen zu identifizieren, die gegründet wurden, um die Eigentumsrechte an einigen dieser Vermögenswerte zu verbergen.
Der Bundesrat verbietet die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen oder Schweizer Munition in die Ukraine. Haben Sie Verständnis für diese auf Neutralität beruhende Haltung?
Die Vereinigten Staaten haben hundertprozentiges Verständnis für die Neutralität der Schweiz. Wir und einige unserer westlichen Verbündeten haben aber wenig Verständnis für das Verbot der Wiederausfuhr von Waffen, die in einigen Fällen vor 10 oder 15 Jahren verkauft worden sind. Wir sind besorgt um die Sicherheit Europas und die Fähigkeit der Ukraine, sich selbst zu verteidigen. Russland ist mit Gewalt in die Ukraine eingedrungen. Die Vereinigten Staaten vertreten den Standpunkt, dass ein Verbot der Wiederausfuhr in dieser Situation dem Aggressor zugutekommt und der Ukraine die Möglichkeit nimmt, sich selbst, ihre Bevölkerung und ihre Infrastruktur zu verteidigen.
Bundespräsident Alain Berset sprach in einem Zeitungsinterview von «Kriegsrausch in gewissen Kreisen». Was sagen Sie dazu?
Mir gegenüber hat sich Berset nicht in dieser Weise geäussert. Jeden Abend gehe ich in meinem komfortablen Haus hier in Bern zu Bett und denke an die 16 Millionen Ukrainer, die diesen Luxus derzeit nicht haben. In Europa herrscht Krieg. Es ist unser aller Aufgabe, alles Mögliche zu tun, um die Ukraine zu unterstützen, damit diese Menschen nach Hause zurückkehren können. Es gibt keine Distanz zwischen den Vereinigten Staaten und der Schweiz. Sie ist ein Freund von uns, und ich denke, Berset hat deutlich gemacht, dass er mit dieser Bemerkung keinen spezifischen Schaden oder eine weitere Distanz zu den Vereinigten Staaten beabsichtigte.
Das Gespräch führte Davide Paggi.