Die Schweiz kämpft aktuell mit täglich vielen Neuansteckungen, vielen Hospitalisationen und ausgelasteten Intensivstationen. Die Impfquote liegt bei knapp 52 Prozent. Entsprechend gross ist der Druck auf die Pflegenden im Land. In diesem Artikel geht es nicht um die Frage, ob man sich impfen lassen soll oder nicht. Es geht um die Art und Weise, wie mit Angestellten umgegangen wird. Wie viel Druck darf ein Arbeitgeber ausüben? Wann ist die Schmerzgrenze erreicht?
Nur noch geimpfte neue Mitarbeiter
Es geht um ein Beispiel einer Spitex-Organisation. Ein «Espresso»-Hörer hat uns zwei E-Mails weitergeleitet, die deutlicher kaum sein könnten: Zwar wird betont, dass die Impfung sehr empfohlen, aber freiwillig bleibe. Aber: «Die Verantwortung in Form von Auflagen und finanziellen Folgen» habe jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter selber zu tragen. Schliesslich hätten ja alle die Möglichkeit, sich impfen zu lassen.
Mehrere Punkte werden als Konsequenzen aufgeführt. So könne es beispielsweise sein, dass künftig Tests in der Freizeit gemacht und selber bezahlt werden müssten. «Das hiesse, dass alle ungeimpften Mitarbeiter mit Kosten von rund 200 Franken pro Monat auf unbestimmte Zeit rechnen müssen.» Ausserdem stelle man neue Mitarbeiter nur noch ein, wenn diese geimpft seien.
2020 interessierte es niemanden, ob man sogar Covid hatte oder nicht. Bei milden Verläufen musste man zum Teil trotzdem arbeiten. Jetzt, 2021, heisst es fast: Ohne Impfung keine Arbeit. Das finde ich einfach nicht fair.
Spitex Schweiz distanziert sich
Druck sei das letzte, was Pflegefachpersonen jetzt gebrauchen könnten, warnt Roswitha Koch vom Schweizer Berufsverband der Pflegefachpersonen SBK. Die Stimmung sei aktuell schwierig: «Viele sind müde und ausgebrannt.» Der SBK stehe klar hinter der Impfstrategie des Bundes, Druck sei aber das falsche Mittel.
Auch Spitex Schweiz distanziert sich vom Vorgehen dieser Spitex-Organisation. Auf die Frage, ob es in Ordnung sei, dass Angestellte künftig Tests selber zahlen müssen, sagt Marianne Pfister, Geschäftsführerin von Spitex Schweiz: «Nein, das ist nicht ok.» Die Kosten für Tests, welche für die Arbeit gefordert würden, dürften nicht auf die Angestellten abgewälzt werden, so Pfister. Ganz so klar sei es rechtlich aber nicht, sagt Roger Rudolph, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Zürich. Die Rechtsgrundlage fehle aktuell noch.
Bei Spitex Schweiz ist ganz klar die Haltung: Impfen ist wichtig, aber freiwillig.
Impfstatus darf abgefragt werden
Klarer ist die Situation bei der Anstellung neuer Angestellten. Nur noch geimpfte Angestellte einzustellen, sei kaum durchsetzbar, so Arbeitsrechtsexperte Roger Rudolph. Dazu bräuchte es eine rechtliche Grundlage. Ausserdem handelt es sich um sehr persönliche Daten, die bei einem Bewerbungsgespräch nicht zwingend preisgegeben werden müssen.
Die Situation sei aber bei Gesundheitsberufen eine besondere. Der Impfstatus ist gerade bei Pflegefachleuten relevant für den Arbeitgeber, um Einsätze zu planen. «Es gibt eine sachliche Rechtfertigung, den Impfstatus abzufragen», erklärt Roger Rudolph. Deshalb müsse es möglich sein, die Frage nach der Corona-Impfung im Bewerbungsprozedere zu stellen. Spitex-Schweiz-Chefin Pfister winkt in Bezug auf Neuanstellungen ab: «Nein. Bei Spitex Schweiz ist ganz klar die Haltung: Impfen ist wichtig, aber freiwillig.»
Spitex Schweiz betont, man informiere alle Spitex Organisationen laufend über Neuerungen und Änderungen und leite Informationen des Bundesamts für Gesundheit weiter.