Finanzminister Ueli Maurer und sein Staatssekretär Jörg Gasser waren vor den Medien sichtlich bemüht, den Bundesratsentscheid als rein technischen Vorgang darzustellen. Und natürlich kann man argumentieren, die Schweizer Börse brauche frühzeitig ein Alternativszenario, um sich auf den Fall vorbereiten zu können, dass sie Ende Jahr von der EU nicht mehr anerkannt wird.
Aktion und Reaktion
Doch: Ein solches Alternativszenario wird ja schliesslich nur nötig, weil die Schweiz bisher keine Zusicherung von Brüssel erhalten hat, dass ihre Börse auch im nächsten Jahr anerkannt bleibt. Die EU vertröstet Bern auf einen Entscheid Ende Jahr, spielt also weiterhin Katz und Maus mit der Eidgenossenschaft. Für den Bundesrat ist das inakzeptabel. Sein heutiger Entscheid ist deshalb als direkte Reaktion auf den Brüsseler Affront zu verstehen. Bern spielt für alle europäischen Metropolen sichtbar mit den Muskeln.
Was auch Ausdruck davon ist, dass die Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz festgefahren sind. In drei wesentlichen Punkten sind die Differenzen nach wie vor gross:
- Die EU will die flankierenden Massnahmen der Schweiz zum Schutz vor Lohndumping im Rahmen der Personenfreizügigkeit vom Tisch haben. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass die in der EU geltenden Schutzmassnahmen die gleiche Wirkung hätten. Der Bundesrat teilt diese Ansicht nicht. Für ihn sind die flankierenden Massnahmen eine rote Linie und bis auf Weiteres unverhandelbar.
- Die EU will im angestrebten Rahmenabkommen zwischen der EU und der Schweiz eine allgemeingültige Regelung für die Frage der staatlichen Beihilfen verankern, die für alle künftigen wie auch für alle bestehenden Abkommen gilt, in denen Beihilfen thematisiert werden. Der Bundesrat will diesen Punkt fürs Erste nur im geplanten Stromabkommen angehen.
- Die EU und die Schweiz haben sich zwar auf ein gemeinsames Schiedsgericht geeinigt, das in Streitfällen abschliessend entscheiden soll. Doch die EU verlangt eine Garantie, dass der EU-Vertreter im Schiedsgericht jederzeit den Europäischen Gerichtshof anrufen kann, ohne dass der Schweizer Vertreter und der neutrale Vertreter im Schiedsgericht dies verhindern könnten. Der Vorwurf, die Schweiz liefere sich «fremden Richtern» aus, liesse sich mit einem solchen Modell nicht aus der Welt schaffen. Für den Bundesrat ist diese Kröte deshalb schwer zu schlucken.
Kommt dazu, dass sich in den letzten Wochen noch eine weitere Konfliktlinie aufgetan hat. Die EU-Staaten diskutieren zurzeit über ein Modell, wonach arbeitslos gewordene Grenzgänger künftig nicht mehr am Ort ihres Wohnsitzes Arbeitslosengelder beziehen sollen, sondern dort, wo sie zuletzt Sozialversicherungsbeiträge einbezahlt haben.
Für die Schweiz könnte das zusätzliche Zahlungen in der Höhe von mehreren hundert Millionen Franken bedeuten. Der Bundesrat hat deshalb schon im März entschieden, «gewisse Bereiche der sozialen Sicherheit von einer dynamischen Übernahme der Weiterentwicklungen des EU-Rechts auszunehmen», wie er kürzlich festgehalten hat. Ob die EU das akzeptiert, ist äusserst fraglich.
Verhandlungen in heisser Phase
Bis anhin laufen die Gespräche zwischen der Schweiz und der EU immer noch auf technischer Ebene, auf Ebene der Diplomaten. Nachdem man nicht mehr weiter zu kommen scheint, braucht es jetzt die nächsthöhere Stufe: die Ebene der Politik. Auf dieser Ebene wären gegenseitige Zugeständnisse möglich. Oder eben auch nicht, womit die Verhandlungen definitiv gescheitert wären.
Auf jeden Fall ist die neueste Entwicklung ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Verhandlungen in die heisse Phase gekommen sind.