Es ist eine Kurve, die steil nach oben zeigt: Haben 2021 noch 36'410 Personen geheiratet, waren es vergangenes Jahr 40'688 – ein Anstieg von 11.7 Prozent. Das geht aus den aktuellen Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) hervor.
Gleichzeitig ist die Anzahl Scheidungen leicht zurückgegangen; 2022 gab es in der Schweiz 16'083, 2021 waren es 17'159.
Mehr Menschen dürfen überhaupt heiraten
Dass die Zahl der Eheschliessungen zuletzt drastisch angestiegen ist, hat gemäss Corinne Di Loreto vor allem zwei Gründe. Die BFS-Sprecherin sagt: «Im Jahr 2020, beziehungsweise Anfang 2021, sind die Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie ein wahrscheinlicher Grund für die vergleichsweise wenigen Eheschliessungen.» Keine Versammlungen, keine Hochzeiten – der klassische Corona-Effekt.
Andererseits ist auch die Anzahl Menschen, die überhaupt heiraten dürfen, schlicht gestiegen. So hat die Schweiz im September 2021 die «Ehe für alle» angenommen, seit Juli 2022 können auch gleichgeschlechtliche Paare in allen Kantonen heiraten. «Tatsächlich ist der Anstieg auch auf diese Gesetzesänderung zurückzuführen», so Di Loreto. Oder in Zahlen: 749 gleichgeschlechtliche Paare haben 2022 geheiratet, 2234 die eingetragene Partnerschaft in eine Ehe umgewandelt.
Trotz dieser beiden Erklärungen: Die Ehe scheint trotz all ihrer Nachteile – genannt seien an dieser Stelle etwa steuerliche Mehrbelastungen – auch im Jahr 2023 hoch im Kurs zu stehen.
In meiner Praxis sehe ich oft, dass für die Ehepaare die Scheidung wirklich der letzte Ausweg ist.
Sarah Studer-Capaul sieht dies ähnlich. Die Bündnerin und Wahlluzernerin ist Sexual- und Paartherapeutin. Kommen Ehepaare zu ihr, haben sie also noch nicht aufgegeben. «In meiner Praxis sehe ich oft, dass für die Ehepaare die Scheidung wirklich der letzte Ausweg ist.» Ebenfalls beobachtet sie, dass die Paare bei Beziehungsthemen sensibler seien. «Sie kommen frühzeitig und nicht erst, wenn bereits ein Scherbenhaufen angerichtet ist.»
Studer-Capaul berät vor allem Paare zwischen 30 und 40 Jahren. Teils seien sie auch Anfang 20 oder Ende 50. Sie findet auch, dass die Vorstellung einer stabilen Zweierbeziehung wieder attraktiver geworden sei: «Ich sehe wieder vermehrt das Interesse, sich langfristig zu binden – trotz steuerlicher Nachteile.»
Stotternde Wirtschaft, weniger Scheidungen
Klar ist auch: Das Leben ist seit längerer Zeit von vielen Unsicherheiten geprägt. Für die Pandemiebekämpfung hat der Bund Rekordsummen ausgegeben und auch die Folgen des Kriegs in der Ukraine oder die Inflation setzen der Schweizer Wirtschaft zu.
Kurz: Das Leben ist teurer geworden. Und teuer ist in der Regel auch eine Scheidung. «Die finanziellen Konsequenzen einer Scheidung können erheblich sein», schreibt etwa der Versicherungskonzern Swiss Life. So werden die Gerichtskosten – sie belaufen sich je nach Kanton zwischen 1000 und 4000 Franken – aufgeteilt. Die Anwaltskosten tragen beide Parteien selbst.
Dass Paare in Krisenzeiten näher zusammenrücken, mag zwar sein. Doch oft sehen Soziologinnen und Soziologen wirtschaftliche Gründe, dann von einer Scheidung abzusehen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Als sich Spanien 2013 in einer schweren Wirtschaftskrise befand, gab es weniger Scheidungen, weil diese zu kostspielig gewesen wären. Und mit der Erholung der Wirtschaft kam es auch wieder zu mehr Trennungen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die Scheidungskurve vielleicht bald wieder leicht nach oben zeigen wird.