Am 25. Februar 2020 wurde der erste Covid-19-Patient der Schweiz in der Klinik Moncucco in Lugano behandelt. Das Spital war eines der beiden Covid-19-Spitäler des Südkantons. Pro 100'000 Einwohner gerechnet sind dort schweizweit am meisten Menschen gestorben. Bis zum heutigen Tag sind es laut BAG insgesamt 810 Verstorbene mit einem positiven Coronatest.
Das letzte Jahr sei emotional sehr anstrengend gewesen, sagt Maria Pia Pollizzi, Leitung Pflegepersonal Intensivstation: «So schnell so viele Tote zu sehen, das war auch für die Erfahrenen unter uns sehr schwierig. Das hinterlässt Spuren.»
Klinikdirektor und Infektiologe Christian Garzoni sagt, er blicke heute anders auf die Welt als vor einem Jahr. So habe er als Arzt vor der Pandemie jeweils den Patienten als Individuum wahrgenommen. Jetzt betrachte er einen neuen Covid-19-Patienten und frage sich, was dieser Patient für die Gesellschaft bedeutet und wie er mit der Gesellschaft über diesen Patienten kommunizieren soll.
Garzoni hat im letzten Jahr sehr viel zum Thema Coronavirus kommuniziert. Das hat ihm bisweilen den Vorwurf der Geltungssucht eingebracht. Er sagt, er habe nicht aus Eigennutz, sondern aus Überzeugung so viel kommuniziert.
«Ich habe immer versucht, in einfachen Worten zu sagen, was wir tun müssen. Denn was wir tun müssen ist auch einfach, seit Monaten gelten die immer gleichen Regeln. Es geht um den gesunden Menschenverstand. Manchmal hatte ich grosse Mühe zu verstehen, warum einfache Regeln so grosse Mühe machen. Ich habe gelernt, dass das so ist, weil für ein Individuum nicht immer gut ist, was für die Gruppe gut ist. Und, dass wir Menschen Meister im Ausreden finden sind. »
Klinikdirektor Garzoni kritisiert Grabendenken
Diese Krise offenbare Gräben, sagt Garzoni mit leiser Stimme. Der Graben zwischen dem Individuum und der ganzen Gesellschaft, der Graben zwischen der Wissenschaftswelt und derjenigen der normalen Konsumenten und vor allem der Graben zwischen der Wissenschaft und der Wirtschaft.
Dieses Grabendenken, das zu Schuldzuweisungen führe, sei falsch und schädlich. «Das Problem ist das Virus und darüber müssen wir reden. Das Problem ist nicht, wer die Restaurants öffnet oder nicht öffnet. Es ist wichtig, dass die Politik, denen unter die Arme greift, die wirtschaftlich leiden.»
Die Impfung als Hoffnungsschimmer
Garzoni sagt, er müsse sich in den sozialen Medien einiges gefallen lassen. Zurzeit werde er kritisiert, dass er von der Pharmaindustrie Geld erhalte, um den Nutzen der Corona-Impfung zu postulieren. Er sei sehr froh, dass innert so kurzer Zeit wirksame Impfstoffe erforscht worden sind.
Dank dieser Impfung sehe er Licht am Ende des Tunnels. «Wenn wir mit der Impfstrategie verhindern können, dass viele ältere Menschen ernsthaft erkranken und die Spitäler an den Anschlag bringen, haben wir viel gewonnen. Nur ist die Sache nicht so einfach, wegen der Lieferschwierigkeiten, der Frage der Haltbarkeit des Impfstoffes, den mutierten Varianten. Es wird nicht einfach am Ende des Tunnels anzukommen.»
Infektiologe Garzoni geht davon aus, dass uns dieses Virus noch lange begleiten wird. Im besten Fall würden wir dieses Virus und seine Varianten in der Zukunft einmal behandeln können wie ein Grippevirus. Ein Jahr an der Coronafront im Tessin hat die Spitalmitarbeitenden gelehrt: Die Welt ist nicht schwarz-weiss, es gibt keine einfachen Lösungen.