«Politiker sind nach den Bankern das Verlogenste, was es gibt», sagt Curdin Coray. Er geht schon lange nicht mehr wählen. Der Zürcher Goldschmied hat kapituliert, Politiker sind für ihn schon lange keine Volksvertreter mehr. Sie verfolgten meistens ihre persönlichen Interessen und politisierten am Volk vorbei, findet er. «Die Schweiz entwickelt sich immer mehr zu einer Bananenrepublik.»
Curdin Coray ist einer von über 2,5 Millionen Nichtwählern in der Schweiz. Sie zu mobilisieren ist nicht einfach, denn sie sind keine homogene Masse. Jeder und jede von ihnen hat eigene Gründe, wieso er oder sie auf das Stimmrecht verzichtet.
Mit den Wählern Reden ist Gold
2019 wird das nationale Parlament gewählt. Die politischen Akteure überlegen sich schon jetzt, wie sie die Nichtwähler wieder vermehrt an die Wahlurnen bringen können. Die Verantwortlichen der grossen Parteien setzen dabei auf persönliche Gespräche.
SVP-Nationalrat und Wahlkampfchef Adrian Amstutz lässt sich zwar nicht genauer in die Karten blicken, seine Strategie für die Wahlen 2019 bleibt geheim. Er betont aber, dass die SVP auf die Nichtwähler zugehen will, zum Beispiel auf Marktplätzen, einfach überall, wo sich Menschen treffen.
Auch die FDP hält sich bedeckt und deutet lediglich an, sie plane eine Mobilisierungsaktion. Die Sozialdemokraten wollen für ihre Mitglieder «Küchentischtreffen» organisieren. Das habe schon 2015 gut funktioniert, sagt Co-Generalsekretär Michael Sorg.
Die CVP hat mit ihrer Kampagne die eigenen Reihen im Fokus. «Wir müssen zuerst unsere Mitglieder mobilisieren», betont Kommunikationschef Manuel Ackermann. Die Christlichdemokraten hätten hier noch Potenzial. Auch digital müsse die Partei aufrüsten und neue Kommunikationsformen ausprobieren. Dafür setzt sie spezielle Botschafter ein, die auf Mitglieder und Sympathisanten zugehen und die Kampagne der CVP verstärken.
Mehr Zusammenarbeit und Kompromisse
Eine zündende neue Idee, um Nichtwähler zu Wählern zu machen, konnten die meisten Parteien noch nicht aus dem Hut zaubern. Auch die Operation Libero kann kein Patentrezept verraten. Dabei hat die junge politische Bewegung mit ihrer Mobilisierungskraft vor zweieinhalb Jahren die Durchsetzungsinitiative zu Fall gebracht. Die SVP wollte damit die strenge Umsetzung der Ausschaffungsinitiative erreichen. Wichtig sei: Offen, engagiert, gefühlvoll und glaubwürdig argumentieren, so lautete der Tenor bei Operation Libero.
Goldschmied Coray findet die geplanten Gesprächs-Offensiven der Parteien zwar gut. Damit auch er an Wahlen wieder teilnimmt, müsste sich aber das politische Verhalten grundlegend verändern, betont er. Konkret erwartet Coray, dass die verschiedenen politischen Lager wieder mehr zusammenarbeiten und gute Kompromisse finden.
Bei kantonalen Wahlen noch tiefer
Die Wahlabstinenz ist ein altes Phänomen in der Schweiz. Vor fast 40 Jahren sank die Wahlbeteiligung auf unter 50 Prozent. Laut Statistik steigt die Quote seit Ende der 1990er Jahre wieder leicht an. Das hat mit dem Ende der Zauberformel zu tun, aber auch damit, dass die SVP immer mehr ins Rampenlicht trat. Dazu kamen stark umstrittene Themen wie die europäische Integration oder die Zuwanderung.
In den Kantonen zeigt sich das Gegenteil: Zum Beispiel an den Berner Gesamterneuerungswahlen im März dieses Jahres. Damals nahmen gerade mal 30,5 Prozent teil. Auch der Kanton Thurgau kam 2016 nur auf eine Quote von 30 Prozent. Immerhin: Auf Gemeindeebene sind die Zahlen teilweise etwas höher als in den Kantonen.
Kein Ende der Demokratie
Die tiefe Wahlbeteiligung bedeute aber nicht das Ende der Demokratie. Dieses Fazit ziehen die Autoren einer Nichtwähler-Studie der Universität Bern . Es gebe keine Umfragen, die belegen, dass die Schweizer grundsätzlich misstrauischer oder desinteressierter seien als die Bürger anderer Länder. Laut den Forschern kann die geringe Wahlbeteiligung auch ein Indiz dafür sein, dass viele Schweizer ganz einfach zufrieden sind mit dem politischen System und sich auf die Arbeit der politischen Akteure verlassen.
Andere Politologen argumentieren, die tiefe Wahlbeteiligung sei auch eine Folge der direkten Demokratie. Die Bürger könnten eben mit Referenden oder Initiativen Einfluss nehmen und Entscheide korrigieren, wenn sie nicht einverstanden seien.