Bundesrat Albert Rösti spart nicht mit Lob. Die Energiebeschlüsse nennt er «eine Riesenleistung des Parlaments». Wohl wissend, dass er massgeblichen Anteil daran hat. Rösti nämlich hat seit seinem ersten Amtstag als Bundesrat auf einen «Deal» hingearbeitet, der da heisst: die Energievorlage entschlacken. Keine umfassende Solarpflicht für alle Gebäude. Im Gegenzug aber auch keinen «Angriff» aufs Restwasser. Stauseebetreiber also dürfen nicht mehr Wasser für die Stromproduktion nutzen als bisher vorgesehen.
Die vier Knackpunkte
Es hat geklappt: Röstis Taktik ist aufgegangen, die Energievorlage ist auf der Zielgeraden. Doch bringt sie der Schweiz tatsächlich genügend Strom? Das sind die vier grossen Fragen:
- Kommen die Wasserkraftprojekte? Die Vorlage beschleunigt 16 ausgewählte Wasserkraftprojekte – zum Beispiel auf der Grimsel oder in Zermatt. Im Beschwerdefall müssen Gerichte das Interesse am Strom aus diesen Projekten höher gewichten als den Naturschutz. Die Frage ist bloss: Verzichten die grossen Naturschutzorganisationen nun wie im Vorfeld versprochen auf Einsprachen?
- Ist die Bevölkerung an Bord? Auch für Wind- und Solaranlagen hat das Parlament Hürden aus dem Weg geräumt. Doch lokal gibt es Widerstände. Exemplarisch vor zwei Wochen im Unterwallis, wo Grüne, SP und SVP Hand in Hand schnellere Verfahren für alpine Solarparks zu Fall brachten.
- Reicht es ohne Solarpflicht? Fast alle Szenarien für eine CO₂-neutrale Schweiz setzen voraus, dass sämtliche geeigneten Dächer Strom produzieren. Jetzt aber wird nichts aus einer nationalen Solarpflicht für alle Häuser, und die Empfehlungen der Kantone sind nicht verbindlich.
- Ist das bezahlbar? Es fliesst zusätzliches Geld für neue Kraftwerke – Geld aus der Stromabgabe. Diese werde nicht aufschlagen, verspricht das Parlament. Mehrkosten für die Konsumenten aber wird es wohl beim Stromnetz geben: denn mehr erneuerbare Energie bedingt ein dichteres Netz.
AKW – der Elefant im Raum
Die Atomkraft ist kein Thema in der Vorlage, omnipräsent ist sie dennoch: weil offen ist, ob die neuen Produktionsziele für erneuerbaren Strom dereinst erreicht werden. Und ob es nicht sogar noch mehr Strom braucht als in den Zielen festgeschrieben. Die SVP und Teile der FDP rufen nach neuen AKW. Und Albert Rösti? Er habe im Moment kein Interesse an einer Kernkraft-Debatte, erklärte er jüngst. Der Energieminister wartet ab, ob «seine» Energievorlage fruchtet. Ist dies innert vier bis fünf Jahren nicht der Fall, behält er sich laut eigenen Angaben andere Optionen vor. Aus seiner Offenheit für die Nukleartechnologie macht Rösti auch als Bundesrat kein Geheimnis.
Atominitiative als Vehikel?
Bald schon landet die Atomfrage ohnehin auf dem Schreibtisch des Energieministers: Die Initianten der atomfreundlichen «Stopp Blackout»-Initiative haben nach eigenen Angaben bereits über 100'000 Unterschriften beisammen. Womöglich eine Gelegenheit für Albert Rösti, die Atomfrage mit einem Gegenvorschlag auf den Tisch zu bringen.