Um den Ausbau der erneuerbaren Energie zu beschleunigen, entschied der Ständerat im Herbst, den Umweltschutz zu lockern. So dürften etwa Stauseen selbst in Biotopen von nationaler Bedeutung gebaut werden – zum Entsetzen von Natur- und Umweltschützerinnen. Sie hoffen, dass der Nationalrat diesen Entscheid nun korrigieren wird. Die «Rundschau» hat Gegner und Befürworter begleitet.
Val Roseg im Engadin – Stausee statt unberührte Natur?
Einer der Gegner ist der WWF. Mit einer Winterwanderung zum Roseg-Gletscher protestieren Mitglieder gegen die Pläne des Ständerats, welche den Umweltschutz aushebeln würden. «Es herrscht Goldgräberstimmung im Parlament», sagt Christopher Bonzi, beim WWF zuständig für Gewässerschutz.
«Das Roseg ist für Tiere und Natur besonders wichtig. Diese Landschaften werden vom Wasser geprägt. Es ist für uns unvorstellbar, dass man die wertvollsten Gebiete, die es noch gibt, jetzt aufhebt.» Angst macht Umweltschützer Bonzi neben dem Ständeratsentscheid eine Studie von ETH-Forschern, die das Wasserkraftpotenzial in Gletscherrückzugsgebieten untersuchte. Dort wird das Val Roseg als einer der vielversprechendsten Standorte bezeichnet.
Interessenabwägung zwischen Energieproduktion und Biotopschutz
Andreas Stettler, Direktor des Wasserwirtschaftverbands, beschwichtigt. Er verstehe zwar die Angst des WWF, aber mit dem Entscheid des Ständerats werde nicht automatisch jedes Tal zugebaut. «Ich denke nicht, dass im Rosegtal je ein Staudamm gebaut wird», so Wasserkraft-Lobbyist Stettler. «Ich habe Erfahrung zu sagen, wo ein Projekt wirtschaftlich interessant sein könnte und wo nicht.»
Ausschliessen kann Stettler einen Roseg-Staudamm allerdings nicht. Er vertritt die Meinung, der Entscheid des Ständerats ermögliche eine bessere Interessenabwägung zwischen Energieproduktion und Umweltschutz. Das sei wichtig, um die Energiewende zu schaffen.
Kompromiss des Runden Tischs infrage gestellt
Die Frage, welche Wasserkraftanlagen die Schweiz braucht, ist seit langem umstritten. Am Runden Tisch Wasserkraft einigten sich vor einem Jahr Kantone, Energieversorger, Wasserwirtschaft und Umweltverbände auf 15 Wasserkraftanlagen, die mit möglichst geringem Umweltschaden einen Ausbau der Wasserkraft ermöglichen. Ein wichtiger Kompromiss, den auch der WWF stützt – solange der Biotopschutz bestehen bleibe.
«Man hat gesagt, die Biotope will man erhalten», so Christopher Bonzi. Doch genau das will der Ständerat ändern. Laut Bonzi wäre das fatal: «Die Schweiz hat bereits über 90 Prozent der Auenflächen verloren.» Er kritisiert den «Aktivismus» des Ständerats. Zuerst müssten die 15 Projekte des Runden Tischs umgesetzt werden, erst dann solle man weiter schauen.
Neue Ausgangslage
Andreas Stettler sieht es anders. Die Projekte vom Runden Tisch hätten Priorität, doch es brauche weitere – für die Energiewende und um weniger abhängig von Stromimporten zu sein. Zudem geht für ihn der Biotopschutz im aktuellen Gesetz zu weit: «In der Zwischenzeit hat man feststellen müssen, dass der Biotopschutz zu stark einschränkt, wenn wir die inländische Stromproduktion ausbauen wollen». Und man müsse massiv ausbauen.
Deshalb fordert Stettler, dass sich der Nationalrat im Grossen und Ganzen dem Ständerat anschliesst. «Dann haben wir eine gute Ausgangslage, um die heutigen Herausforderungen anpacken zu können», so der Wasserwirtschaftslobbyist.
Nächste Woche beginnt die Frühjahrssession. Dort beugt sich der Nationalrat über die Vorlage.