Seit 2021 in Afghanistan erneut die Taliban die Macht übernommen haben, sind die Freiheiten für Frauen nach und nach eingeschränkt worden. Sie dürfen sich nicht frei bewegen, und Mädchen sind von den Schulen ausgeschlossen worden. Mitte-Nationalrat Nicolo Paganini betonte deshalb im Nationalrat: «In der Kommission gab es grundsätzlich keine Differenz bei der Frage, ob vom Taliban-Regime verfolgte Frauen und Mädchen in der Schweiz Schutz finden sollen. Das wird bejaht.»
Aber der Teufel stecke im Detail – oder genauer gesagt in der Frage, ob seit der Praxisänderung des SEM im letzten Sommer nach wie vor jeder Fall einzeln geprüft werde.
Nur Frau sein und aus Afghanistan kommen – das genügt nicht, um hier Asyl erhalten zu können
Genau in diesem zentralen Punkt sei die Praxis geändert worden, sagte der Zürcher SVP-Nationalrat Gregor Rutz. «Faktisch erfolgt keine Einzelfallprüfung mehr. Oder wenn sie es anders wollen: Es erfolgt zwar eine Einzelfallprüfung, die Schwelle wurde aber so tief gesenkt, dass faktisch jeder Einzelfall die Flüchtlingseigenschaft erhält.»
Gegenüber SRF legt Rutz nach, dass das Geschlecht und die Nationalität als Asylgrund nicht genügten: «Nur Frau sein und aus Afghanistan kommen – das genügt nicht, um hier Asyl erhalten zu können. Es muss eine spezifische Verfolgung, eine besondere Intensität der Diskriminierung vorliegen.» Rutz verlangte deshalb mit Unterstützung der FDP, dass die Praxis rückgängig gemacht wird.
Wir sind schockiert darüber, dass die SVP und FDP auf Kosten der Schwächsten Stimmung machen wollen.
SP-Co-Fraktionschefin Samira Marti sprach sich entschieden dagegen aus: «Wir sind schockiert darüber, dass die SVP und FDP auf Kosten der Schwächsten Stimmung machen wollen.» Die afghanischen Frauen würden in ihrer Heimat religiös motiviert verfolgt, so Marti weiter. «Sie dürfen in Afghanistan nicht einmal mehr alleine vor die Haustüre. Ansonsten werden sie verfolgt, festgenommen und im schlimmsten Fall gesteinigt.»
In die gleiche Richtung argumentierte Bundesrat Beat Jans in der Debatte im Nationalrat. Heute hätten Mädchen und Frauen in Afghanistan eine objektiv begründete Furcht, Opfer diskriminierender Gesetzgebung und einer religiös motivierten Verfolgung zu werden. «Ein menschenwürdiges Leben ist für sie in Afghanistan nicht möglich, weshalb sie in der Schweiz als Flüchtlinge anerkannt werden.»
Und der Justizminister stellte klar: Nicht einfach jede Frau aus Afghanistan erhalte seit der Praxisänderung Asyl: «Diese Praxisänderung hat keineswegs einen Automatismus zur Folge. Ich kann Ihnen versichern, dass das SEM nach wie vor jedes Asylgesuch von afghanischen Frauen und Mädchen einzeln prüft.»
Tiefere Hürden bleiben im Grundsatz
Der Nationalrat hatte die Wahl zwischen der Motion von Gregor Rutz, die neue Praxis gegenüber Afghaninnen rückgängig zu machen, oder den Vorstoss der Staatspolitischen Kommission, welche die Praxis nur leicht verschärfen will.
Der Nationalrat lehnte die Motion aus den Reihen der SVP hauchdünn ab und entschied sich für die Variante der Kommission. Auch diese verlangt, dass jedes Gesuch einzeln geprüft wird und dass allenfalls nachreisende Männer einer Sicherheitsprüfung unterzogen werden. Die tieferen Hürden für Afghaninnen bleiben damit im Grundsatz, sie werden aber höher gesetzt.