«Ich habe jeden Tag Angst, dass mich die Schweizer Regierung nach Afghanistan zurückschickt», sagt die Lernende Zahra Alidoosty. Alidoosty ist vorläufig aufgenommen in der Schweiz und macht eine Lehre als Bäckerin.
Nach Afghanistan zurückzukehren, kann sie sich nicht vorstellen. «Das ist kein Leben, das ist ein langsames Sterben jeden Tag. Und wenn eine Frau etwas Kleines falsch macht, wird sie geschlagen oder kommt ins Gefängnis», so Alidoosty.
Sie lebt seit vier Jahren in der Schweiz. Jetzt hat sie ein neues Asylgesuch gestellt. Denn das Staatssekretariat für Migration (SEM) gewährt Afghaninnen seit Sommer grundsätzlich Asyl. In Afghanistan können alle Frauen Opfer von Diskriminierung und Verfolgung werden. Im November sind knapp 600 Personen aus Afghanistan in die Schweiz gekommen und haben hier einen Asylantrag gestellt.
SVP und FDP wollen Änderung rückgängig machen
SVP und FDP fordern im Parlament, das SEM solle seine Praxisänderung rückgängig machen. «Das SEM hat eigenhändig eine Entscheidung getroffen, die nicht in seinen Kompetenzen liegt», sagt SVP-Nationalrat Gregor Rutz. «Man will einer ganzen Gruppe Frauen aus Afghanistan Asyl gewähren. Im Asylgesetz ist vorgesehen, dass jedes Asylgesuch einzeln geprüft werden muss. Man kann nicht ganze Gruppen einladen. Das hätte, wenn schon, der Gesamtbundesrat bewilligen müssen, das Parlament und die Kantone hätten angehört werden müssen.»
Solange sich die Situation der Afghaninnen vor Ort nicht deutlich und nachhaltig verbessert, können wir die Praxisänderung nicht rückgängig machen.
Das SEM betont, diese Änderung liege sehr wohl in seiner Kompetenz. «Solange sich die Situation der Afghaninnen vor Ort nicht deutlich und nachhaltig verbessert, können wir die Praxisänderung nicht rückgängig machen», sagt Magdalena Rast, Mediensprecherin beim Staatssekretariat für Migration. Das wäre aus Sicht des SEM völkerrechtswidrig.
«Dazu kann man auch noch sagen, dass viele europäische Staaten eine ähnliche Praxis haben wie die Schweiz und Afghaninnen in der Regel Asyl gewähren», so Rast weiter.
Nationalrat Rutz spricht von Skandal
Der Nationalrat hat die Motion Rutz am Dienstag nicht beraten wollen und sie zurück an die Kommission geschickt. Ein Grund: Das zuständige Justizdepartement habe mit Beat Jans bald einen neuen Chef.
«Ich halte das für einen Skandal», sagte Rutz nach dem vertagten Entscheid des Nationalrates. «Es ist ein Skandal, dass der Bundesrat die Gesetzesüberschreitung des SEM nicht rückgängig gemacht hat. Dass aber das Parlament nicht darüber reden will, ist einigermassen fragwürdig.»
Mein Wunsch ist, dass alle afghanischen Frauen hier einen B-Ausweis bekommen. Dann sind sie ein bisschen ruhiger, haben weniger Stress.
Für Zahra Alidoosty würde ein positiver Asylentscheid zu einer B-Bewilligung führen. Für ihren Chef würde es keinen Unterschied machen, welche Bewilligung sie hat. «Bei uns spielt das keine Rolle», sagt Michael Wick, Junior-Geschäftsführer der Bäckerei Wick. Auch bei einer B-Bewilligung müsse man eine Meldung machen.
Für Alidoosty würde eine B-Bewilligung aber Sicherheit bedeuten. Zusätzlich hätte sie mehr Freiheiten beim Reisen und das Recht auf Familiennachzug. «Mein Wunsch ist, dass alle afghanischen Frauen hier einen B-Ausweis bekommen. Dann sind sie ein bisschen ruhiger, haben weniger Stress.»
Alidoosty ist eine von knapp 1000 Afghaninnen in der Schweiz, die seit der Praxisänderung im Sommer einen neuen Asylantrag gestellt haben. Am Mittwoch schickte auch der Ständerat die Motion zurück an die Kommission. Ein Entscheid fällt erst im neuen Jahr.