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Frauen konsequent verfolgt? Diskussion um Asylanerkennung von Afghaninnen

Parlamentarische Vorstösse wollen das Regime wieder verschärfen. Ob das rechtlich überhaupt möglich ist, ist umstritten.

Im Juli hat der Bundesrat die Asylpraxis gegenüber Afghaninnen geändert. Frauen und Mädchen erhalten nun in der Regel Asyl in der Schweiz, weil sie in ihrem Heimatland systematisch verfolgt werden.

Nach einer Prüfung werden sie oft als Flüchtlinge anerkannt und erhalten so gewisse Privilegien, zum Beispiel können sie enge Angehörige nachkommen lassen.

Diese neue Praxis wird in der kommenden Wintersession diskutiert. In zwei Vorstössen verlangen Politiker von SVP und FDP, dass diese Änderung der Asylpraxis rückgängig gemacht wird.

Das SEM muss Asylgesetz und Flüchtlingskonvention anwenden, deshalb hat eine Motion keine Wirkung.
Autor: Nina Hadorn Juristin, Leiterin des Zentrums für Migrationsrecht Zürich

Doch für die Juristin Nina Hadorn geht das nicht. Die Umsetzung des Asylrechts liege einzig beim Bundesrat, sagt die Leiterin des Zentrums für Migrationsrecht in Zürich.

Hat das Parlament gar nichts zu sagen?

Die Asylbehörde der Schweiz, das SEM, betont, dass sie Praxisänderungen im Vollzug des Gesetzes selber bestimmen könne – ohne Mitwirkung des Parlaments.

Die Politiker verlangten eine Änderung der Asylpraxis der Verwaltung, sagt Juristin Hadorn. Das widerspreche dem Asylgesetz und der Genfer Flüchtlingskonvention.

Symbolbild: zwei Frauen in Afghanistan, eine in einem Ganzkörperschleier, die andere lehnt mit Kopftuch an ein Auto.
Legende: Frauen und Mädchen werden in Afghanistan systematisch verfolgt, deshalb erhalten sie in der Schweiz Asyl. Diskutiert wird nun, ob das Parlament dazu etwas zu sagen hat oder nicht. Keystone/Mustafa Najafizada

Für Hadorn ist diese Forderung zwecklos oder, anders gesagt, für die Katz. «Das SEM muss Asylgesetz und Flüchtlingskonvention anwenden, deshalb hat eine Motion meines Erachtens keine Wirkung, auch wenn sie durchkommen sollte.»

In Verfassung und Gesetz ist die Möglichkeit vorgesehen, in den Zuständigkeitsbereich des Bundesrats einzuwirken.
Autor: Stefan Schmid Professor für Verfassungsrecht an der Uni St. Gallen

Anders sieht das Stefan Schmid, Professor für Verfassungsrecht an der Universität St. Gallen. Es sei durchaus möglich, dass sich die Politik mit einem Vorstoss in den Vollzug des Asylrechts einbringe: «In Verfassung und Gesetz ist die Möglichkeit vorgesehen, in den Zuständigkeitsbereich des Bundesrats einzuwirken», betont Schmid.

Das Parlament kann sich einbringen, sagt Professor Schmid – aber es bleibt wirkungslos, so die Meinung der Expertin für Migrationsrecht.

SVP betont Kompetenzen des Parlaments

Für SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi macht die Politik mit den Vorstössen genau das Richtige. Schliesslich sei das Parlament der Gesetzgeber. «Wenn das Parlament der Meinung ist, dass der Bundesrat mit seinen Lockerungen im Asylbereich zu weit gegangen ist, dann ist es die richtige Instanz, um dem Bundesrat eine Praxisänderung in Auftrag zu geben.»

Die SVP warnt vor der Sogwirkung, die entstehe, wenn die Asylhürde gesenkt werde. Doch laut Asylgesetz müssen Menschen Asyl erhalten, wenn sie in ihrer Heimat systematisch verfolgt werden.

Von einem Ansturm von Flüchtlingen aus Afghanistan wegen der Praxisänderung könne keine Rede sein, sagt derweil das SEM. Zwar seien die Asylgesuche bei jenen Afghaninnen und Afghanen gestiegen, die meist als vorläufig Aufgenommene bereits in der Schweiz lebten, sagt SEM-Vizedirektor Claudio Martelli.

«Im September waren es etwa 700 solche Gesuche. Die Zahl ging im Oktober aber bereits wieder auf rund 300 zurück», so Martelli. Die Zahl der Asylgesuche sei in den letzten Wochen allgemein zurückgegangen. Das habe vor allem saisonale Gründe – denn im Winter würden viele Migrationsrouten geschlossen.

Echo der Zeit, 30.11.2023, 18:00 Uhr

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