Es ist noch nicht definitiv entschieden, aber die Detailhändlerin Migros plant, künftig Alkohol zu verkaufen. Bisher hat sie sich von ihren Konkurrenten damit abgehoben, darauf zu verzichten. Davon konnten vor allem Menschen profitieren, die unter einem Suchtproblem leiden.
Einer von ihnen ist Felix. Er ist alkoholkrank und seit mehreren Jahren trocken. Er sagt, für suchtkranke Personen könne ein Einkauf zum Spiessrutenlauf werden. Für ihn besonders schwierig sei es, im Laden am Alkohol vorbeizulaufen.
«Es triggert einen einfach. Man denkt vielleicht zurück, dass es wieder einmal eine Idee wäre, was zu kaufen. Oder bei diesem Sonderangebot müsste man eigentlich zuschlagen. Solche Situationen will man einfach vermeiden.»
Die Gefahr, getriggert zu werden
Denn, wenn der Alkohol nicht dort sei, sei die Hürde grösser, um rückfällig zu werden und Alkohol zu kaufen. «Es ist ein anderes Einkaufen, vor allem in der Anfangszeit, als ich trocken wurde. Ich musste aufpassen, wo ich durchgehe und wo nicht. Es war ein gezieltes Einkaufen.»
Er habe einen Einkaufszettel geschrieben, um bewusst Abteilungen ausschliessen zu können. Und: Je nach Person bestehe immer die Möglichkeit, auch nach langem Trockensein, jedes Mal beim Einkaufen getriggert zu werden.
Von Triggern spricht auch Domenic Schnoz. Er ist Leiter der Zürcher Fachstelle zur Prävention des Suchtmittelmissbrauchs (ZFPS). «Wenn man eine Abhängigkeit entwickelt hat, dann triggert ein Reiz von einem Suchtmittel immer wieder. Und wenn man daran vorbeiläuft, fällt es umso schwieriger, zu widerstehen.»
Das sogenannte Suchtgedächtnis in unserem Gehirn reagiert extrem stark.
Von solchen Situationen blieben Betroffene in der Migros bisher verschont. Und das sind nicht wenige: «Man geht davon aus, dass wir etwa eine Viertelmillion alkoholabhängige Menschen in der Schweiz haben.» Und ein mitbetroffenes Umfeld: «Wir gehen von etwa 100'000 Kindern in der Schweiz aus, die unter suchtkranken Eltern leiden», sagt Schnoz.
Gewisse Stimmen sagen, es sei nicht die Aufgabe eines Unternehmens, das Suchtproblem der Schweizer Gesellschaft zu lösen. Der Suchtexperte widerspricht. Er findet, als Gesellschaft hätten wir alle eine Verantwortung gegenüber suchtkranken Menschen. «Die Migros ist bisher wirklich rausgestochen. Sie hat ihre soziale Verantwortung höher gewichtet als die Konkurrenz. Daher ist es sehr bedauerlich, dass das jetzt in eine andere Richtung geht.»
«Wenn man ein Alkoholproblem hat, dann sind die Impulse auf das Gehirn sehr stark. Das sogenannte Suchtgedächtnis in unserem Gehirn reagiert extrem stark.» Für solche Menschen sei es umso schwieriger, dieser Versuchung zu widerstehen, so Schnoz. «Darum ist es sehr wichtig, dass man einen Ort hat, wo man quasi diese Reize minimieren kann.»
Reize zu minimieren versucht auch Felix. Denn auch nach jahrelanger Alkoholabstinenz sei das Einkaufen noch eine Herausforderung. Unterdessen hat er aber einige Strategien entwickelt. Er gehe, wenn möglich, in dieselbe Verkaufsstelle, wo er seine Schwachpunkte meiden kann: Schnaps- und Weinabteilung und Kühlboxen mit Bier. Aber: «Es ist eine konstante Aufgabe. Je weniger weit man vom Trockensein weg ist, desto schwieriger ist es.»
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