Normalerweise analysieren sie die militärische Stärke Chinas oder Russlands oder bewerten das Nuklearabkommen mit dem Iran. Jetzt haben die Experten am Zentrum für Sicherheitspolitik an der ETH Zürich die Arbeit des Bundes in der ersten Corona-Welle analysiert.
«Man kann sagen, dass der Gegenstand der Sicherheitspolitik sich seit dem Ende des Kalten Krieges ausgeweitet und vertieft hat», erklärt Andreas Wenger, Professor für schweizerische und internationale Sicherheitspolitik. Sicherheitspolitik wird heute umfassend verstanden, dazu gehören auch Naturkatastrophen, gesellschaftliche oder technische Notlagen wie ein Stromnetzausfall – oder eine Epidemie.
Teilweise verlorener Februar
Ähnlich wie wenn ein Krieg droht, braucht es im Falle der Pandemie eine Frühwarnung, wenn das Virus anrollt. Auf Fachebene in den Bundesämtern habe man Anfang Jahr früh Signale wahrgenommen, dass ein gefährliches Virus in China aufgetaucht sei. Die WHO habe die Staaten bereits im Januar aufgefordert, das Krisenmanagement auf höchster politischer Ebene zu aktivieren.
Der Bundesrat habe aber erst richtig in den Krisenmodus gewechselt, als er Ende Februar die besondere Lage ausrief, sagt Andreas Wenger. «Dadurch ist wertvolle Zeit verloren gegangen und man kann auch im Falle der Schweiz – wie bei den anderen europäischen Ländern – von einem zumindest teilweise verlorenem Februar sprechen.»
Auch in der Schweiz ist wertvolle Zeit verloren gegangen.
Die Folge: Zwei Wochen später musste das öffentliche Leben fast vollständig heruntergefahren werden. Zeit gewinnen, das ist eine Lehre aus der ersten Welle. Darum schlagen Wenger und sein Team vor, dass Bund, Kantone und Wissenschaft ein Pandemie-Frühwarn-Netzwerk aufbauen.
Gute Noten erhält der Bundesrat als Kollegialregierung. Er habe, als Mitte März die ausserordentliche Lage erklärt wurde, für alle anstehenden Probleme flexible Lösungen gefunden. «Er konnte über die normalen Führungsprozesse, über seine departemenalen Krisenstäbe und die Ämterkonsultation führen», so Wenger.
Unkoordinierte Krisenstäbe
Schlechte Noten gibt es für die Krisenorganisation des Bundes. Über die erste Welle waren drei Stäbe aktiv. Der Bundesstab für Bevölkerungsschutz, der Corona-Krisenstab des Bundesrates und die Taskforce im Bundesamt für Gesundheit. Der eine Stab war zu weit weg von der politischen Führung, der zweite wurde zu spät eingesetzt und der dritte war überlastet, weil er zu viele Sonderaufgaben übernehmen musste. Das habe zu Reibungsverlusten geführt, zu Lücken und Verzögerungen.
Seuchen-General im Schutzanzug
Zurück zur klassischen Sicherheitspolitik: Wäre es einfacher, es gäbe es einen Seuchen-General im Schutzanzug? Der Professor für Sicherheitspolitik winkt ab: «Die Analogie zwischen Armee und Gesundheitsbereich ist schräg. Armeen sind hierarchisch organisierte Instrumente auf der Ebene des Gesamtstaates. Der Gesundheitsbereich ist ein dezentral organisiertes System auf der Stufe der Kantone.»
Vom Militär könne man das Denken in Szenarien lernen und wie man sich auf den schlimmsten Fall der Fälle vorbereite, sagt Wenger. Das ist im Falle dieser Pandemie nur ungenügend passiert.