Wie weiter mit der Ernährungspolitik? Bei diesem Thema können nun 100 Schweizerinnen und Schweizer mitreden. Es sind keine Polit-Profis, sondern sie wurden per Los ausgewählt – zur Mitwirkung im Bürgerinnen- und Bürgerrat. Diese demokratische Spielart ist für unsere direkte Demokratie neu und wird vom Bund mitfinanziert.
- Angela Meier ist Heilpädagogin: «Ich bin selber Mutter und finde, Ernährung ist ein Thema, das uns alle angeht», sagt die 42-Jährige.
- Der pensionierte Betriebswirtschafter Philippe Gacond macht sich Sorgen um die Welt: «Ich nehme teil, weil ich jede Gelegenheit beim Schopf packe, etwas zu verändern. Die Lage der Welt ist ernst.»
- Die 33-jährige Bäuerin Martina Stettler will derweil die Sicht der Bäuerinnen und Bauern einbringen: «Das Vorurteil, Bäuerinnen und Bauern seien schuld, bedrückt mich.»
- Die 24-jährige Janina Inauen hat gerade ihre Bachelor-Arbeit geschrieben. Sie sagt: «Ich würde gerne auf einer Erde leben, die noch einigermassen bewohnbar und schön ist.»
Vier Personen, die im Rat verschiedene Sichtweisen auf das Thema Ernährungspolitik einbringen sollen. In den nächsten sechs Monaten vertiefen sie ihr Wissen: Landwirtschafts-Produktion, ökologische Systeme, Nahrungsmittelverarbeitung und Konsumentenschutz. Sie hören sich Expertinnen und Experten an, besuchen Betriebe. Am Schluss dürfen sie einen Massnahmenkatalog verabschieden, der an die Politik geht.
Doch gibt es dafür eigentlich nicht Parlamente und gewählte Politikerinnen und Politiker? Der Projektleiter des Rates, Daniel Langmeier, sagt, die Meinung der ganz normalen Bevölkerung komme im politischen Prozess zu wenig zur Geltung: «Diese Stimmen kommen vor allem nicht vertieft zum Ausdruck, meistens nur über Ja oder Nein – oder dann über eine Interessensvertretung.» Mit dem Rat könnten sie nun der Politik ein Mittel zur Hand geben, um bessere Entscheidungen zu treffen.
NGOs provozieren Kritik
Hinter dem Projekt stehen drei nicht-staatliche Organisationen. Biovision, der Verein Landwirtschaft mit Zukunft und das Netzwerk für Nachhaltigkeitslösungen. Alles Organisationen, die das Ziel einer grüneren, nachhaltigeren Landwirtschaft verfolgen.
Daniel Langmeier sagt, die Organisationen würden keinen Einfluss auf die inhaltlichen Debatten im Rat nehmen. Die Teilnehmer seien von einem unabhängigen Marktforschungsinstitut per Los ausgewählt worden.
Dass sich gerade Bauernpolitiker herausgefordert fühlen, überrasche ihn nicht, sagt Daniel Kübler, Politikwissenschaftler am Zentrum Demokratie Aarau und an der Uni Zürich: «Landwirtschaftspolitik wird extrem stark von Verbandsinteressen geprägt. Ein solcher Rat ist vermutlich ein Stich in ein Wespennest.»
Eine Ergänzung, keine Bedrohung für Parlamente
Die Räte könnten durchaus bestehende Entscheidungswege aufbrechen, gerade wenn starke Lobbys Einfluss darauf hätten wie in der Schweiz, sagt Kübler. Hingegen hätten Bürgerräte keine Befugnisse, politische Entscheide zu treffen, darum sei die Legitimität eines Parlamentes nicht bedroht.
Für die Teilnehmenden am Rat ist klar, politisch entscheiden können sie nichts. Aber sie hoffen, dass ihnen dann die Politik zuhört. Und zwar Anfang November, wenn sie den Massnahmenkatalog präsentieren.