Der ETH-Forschungsbericht über die Geschichte des Gründers der Raiffeisenbewegung, Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 – 1888), und die Firmengeschichte von Raiffeisen Schweiz ist da. Der Bericht wurde von der Raiffeisen selbst in Auftrag gegeben, um die mutmasslich antisemitische Vergangenheit aufzuarbeiten.
Dass der Bericht in Auftrag gegeben wurde, geschah unter anderem darum, weil vor rund einem Jahr ein Komitee rund um den St. Galler Alt-Ständerat Paul Rechsteiner öffentlich für eine Umbenennung des Raiffeisenplatzes warb – wegen des mutmasslich antisemitischen Hintergrunds des Raiffeisengründers.
Nach diesem Stein des Anstosses präsentierte Raiffeisen Schweiz am Donnerstag zusammen mit dem Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich den Bericht. Dieser bestätigt, dass Friedrich Wilhelm Raiffeisen antisemitische Formulierungen, Stereotype und Ausdrücke verwendete. Er prangerte insbesondere den angeblichen «jüdischen Wucher» an.
Ein Antisemit war, wer sich politisch gegen die Emanzipation der Juden wehrte. Das war Raiffeisen nicht.
Doch eine schmale Quellenlage offenbare auch Widersprüche. In einem unveröffentlichten Bericht habe Raiffeisen die Jüdinnen und Juden zwar als potenzielles «Krebsgeschwür» bezeichnet, kurz danach habe er sich aber in einem Grundsatzartikel explizit gegen die politische «Judenhetze» ausgesprochen. ,
Es gebe keine Hinweise darauf, dass Antisemitismus im Bankengeschäft von Raiffeisen eine Rolle gespielt habe. Das Gründungsnarrativ sei losgelöst von der Geschäftstätigkeit, kommt das Historikerteam zum Schluss.
Der Leiter der ETH-Studie, Gregor Spuhler, sagt: «Als Raiffeisen lebte, war ein Antisemit jemand, der sich politisch gegen die Emanzipation der Juden wehrte. Das tat er nicht. Er war kein antisemitischer Ideologe. Die sogenannte Judenfrage war nicht im Zentrum seines Denkens.»
Gegenstand der ETH-Untersuchungen war auch die Rolle von Raiffeisenexponenten zu Zeiten des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus. Gemäss Forschungsbericht seien die Machtübernahmen in Italien und Deutschland teilweise «verhalten positiv» kommentiert worden. Später seien diese Exponenten aber auf Distanz gegangen, in die Raubwirtschaft der Nazis sei die Raiffeisen nicht involviert gewesen.
Komitee will Platz einer jüdischen Fluchthelferin widmen
Die Bestrebungen des Komitees um Paul Rechsteiner, den Raiffeisenplatz in der Stadt St. Gallen hat zum Ziel, bis Ende 2024 den Platz offiziell in «Recha-Sternbuch»-Platz umzubenennen.
Der Platz, der mit einem charismatischen, von der Künstlerin Pipilotti Rist und weiteren Kunstschaffenden gestalteten, roten Teppich überzogen ist, soll nach der orthodoxen Jüdin Recha Sternbuch (1905 – 1971) benannt werden. Sternbuch lebte in St. Gallen und rettete jüdischen Flüchtenden während des Zweiten Weltkriegs das Leben.
Eigentümerin des roten Platzes ist die Stadt. Der zuständige Stadtrat schreibt auf Anfrage, man wolle erst den Bericht lesen, bevor man sich äussere. Auch das Komitee will den nun vorliegenden Bericht zuerst lesen und dann weiter kommunizieren.