Welche Aussage kommt der Wahrheit näher? Ist es SVP-Nationalrat Roger Köppel, der den Entscheid des Bundesrates die Verhandlungen mit der EU über das Rahmenabkommen zu beenden als «Schmetterlingsmoment unserer Selbstbestimmung und Unabhängigkeit» bezeichnet? Oder doch eher der Grünliberale Roland Fischer, der von einem «kompletten Versagen des Bundesrates», von einem «aussenpolitischen Versagen ohnegleichen» spricht?
Die Mehrheit des Nationalrates dürfte sich eher Roland Fischer anschliessen. Denn bei eigentlich allen Parteien ausser der SVP ist der Missmut gegenüber dem Bundesrat nach wie vor sehr gross.
Dabei brachte die heutige Debatte im Nationalrat eine wesentliche neue Erkenntnis zutage, die der breiten Öffentlichkeit so nicht bekannt gewesen sein dürfe. Es geht um die Frage, wie die Schweiz den bilateralen Weg auch ohne Rahmenabkommen absichern kann.
Bundesrat: EU ist nicht verpflichtet, Abkommen zu aktualisieren
Die EU kündete ja schon lange an, dass sie ohne Rahmenabkommen keine neuen Abkommen abschliessen und bestehende Abkommen nicht aktualisieren werde. Wie neulich geschehen mit dem Abkommen über die technischen Handelshemmnisse im Bereich Medizinprodukte. Die EU anerkennt die Schweiz nicht mehr als äquivalent, obwohl die Schweizer Regelungen denjenigen der EU entsprechen.
In der Schweiz behaupteten dabei verschiedene Stimmen, die EU würde den Vertrag verletzen, wenn sie das Abkommen nicht aktualisiere. Doch seit heute ist klar, das stimmt nicht. Der Bundesrat selbst sagt, die EU sei dazu nicht verpflichtet.
«Erosion» des bilateralen Wegs
Das hat grundsätzliche Implikationen: Auch wenn der Bundesrat versichert, die bestehenden Abkommen gälten nach wie vor und er halte am bilateralen Weg fest, so ist nun klar, dass die Schweiz von sich aus diese «Erosion» des bilateralen Wegs nicht stoppen kann. Zwar hat der Bundesrat erwähnt, was er nach dem Abbruch-Entscheid zu tun gedenkt (politischer Dialog mit der EU, Anpassung des Schweizer Rechts an das EU-Recht und Freigabe der Kohäsionsmilliarde), aber das reicht nicht.
Insofern bleibt der Bundesrat die entscheidende Antwort, wie er den bilateralen Weg ohne Rahmenabkommen absichern wolle, auch heute schuldig. Auch deshalb ist der Missmut gegenüber dem Bundesrat gross. Und deshalb sprechen nun sogar auch die Grünliberalen davon, dass jetzt der EWR- und sogar der EU-Beitritt geprüft werden sollen.
Neu ist zudem noch eine zweite Erkenntnis – diese hat aber nicht direkt etwas mit der heutigen Debatte zu tun. Es geht um die Freigabe der Kohäsionsmilliarde. Wie EU-Quellen gegenüber SRF bestätigen, soll die EU der Schweiz gesagt haben, dass die Freigabe dieser Gelder die Mindestvoraussetzung dafür sei, dass die EU überhaupt erst mit der Schweiz über die Assoziierung der Schweizer Universitäten am neuen EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe verhandelt.