Warum ist dieser Fall bedeutsam? Erstmals behandelt Strassburg die Frage, ob die Klimapolitik eines Staates Menschenrechte verletzt. Würde die Schweiz verurteilt, hätte dies wohl weitreichende Folgen für Europa. Es könnte ein Rechtsweg aufgezeigt werden, wie Einzelpersonen die Klimapolitik der 46 Staaten des Europarats einklagen könnten. Das Interesse von Umweltaktivistinnen und Umweltaktivisten ist entsprechend hoch.
Worum geht es den Klimaseniorinnen? Die Klimaseniorinnen sagen, der Bund verletze ihre Menschenrechte. Mit der eingeschlagenen Klimapolitik verpasse die Schweiz die Klimaziele, auf die sie sich im Rahmen des Pariser Klimaabkommens verpflichtet hat. Daher tue die Schweiz zu wenig, um eine Gefährdung der Gesundheit der Klimaseniorinnen möglichst zu verhindern. Weil ältere Frauen als Folge häufigerer und intensiverer Hitzeperioden vermehrt krank würden oder stürben, betreffe sie die Klimapolitik der Schweiz also direkt.
Juristisch gesprochen, hätte die Schweiz ihre «positive Schutzpflicht» gegenüber den Klägerinnen nicht genügend wahrgenommen. Konkret sehen sich die Klimaseniorinnen in ihrem Recht auf Leben gemäss Europäischer Menschenrechtskonvention (Art. 2. EMRK) und in ihrem Recht auf Privatleben (Art. 8. EMRK) verletzt.
Wer sind die Klimaseniorinnen? Es klagen vier Einzelpersonen und der Verein Klimaseniorinnen, der aus über 2000 Pensionärinnen besteht. Die Initiative für die Klage ging jedoch von Greenpeace aus. Die Nichtregierungsorganisation war nach einem ähnlichen Fall in den Niederlanden überzeugt, dass staatliche Klimapolitik Grundrechte verletzen kann, und suchte mögliche Geschädigte in der Schweiz. Es handelt sich um eine strategische Prozessführung, was durchaus üblich für Aktivistinnen und Aktivisten ist.
Wie argumentiert die Schweiz? Die Klimaseniorinnen ersuchten den Bund 2016, seine Klimapolitik zu verschärfen. Nachdem dieser dies zurückgewiesen hatte, legten sie Beschwerde ein. Sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch das Bundesgericht lehnten diese ab. Die Beschwerdeführerinnen seien nicht oder zumindest noch nicht in besonderer Weise vom Klimawandel betroffen; also nicht stärker als andere Gruppen, die unter dem Klimawandel leiden. Es sei zudem nicht erwiesen, dass die Schweizer Klimapolitik die Gesundheit dieser Frauen direkt beeinträchtige. Dem Bund bliebe zudem Zeit, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Schliesslich stehe den Klimaseniorinnen der politische Weg offen, die Klimapolitik der Schweiz zu beeinflussen.
Die Klimaseniorinnen zogen ihr Anliegen weiter an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der höchsten Instanz in Sachen Menschenrechte in Europa. Würde dieser von den Vorinstanzen abweichen, so könnte es sein, dass die Schweiz den Fall neu beurteilen müsste. Würde die Schweiz verurteilt, so wäre sie von Strassburg aufgefordert, ihre Klimapolitik zu verschärfen.