Die Devise der Gesundheitsämter dieser Welt ist klar: Wascht eure Hände, bleibt zu Hause, haltet Abstand. Doch an gewissen Orten sind diese Präventionsmassnahmen schlicht nicht umsetzbar. Ein Flüchtlingscamp ist ein solcher Ort. Im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos leben zurzeit über 20'000 Menschen, Platz gäbe es für 2800. Bis anhin hat das Virus das Lager noch verschont, doch lange dürfte das nicht mehr so bleiben.
Seit sieben Monaten lebt Frozish in Moria. In seiner Heimat Afghanistan hat er ein privates Spital geleitet. Frozish erzählt per Videocall, dass es im Lager kaum Wasser gibt. Nur jeweils zwei Stunden am Morgen, Mittag und Abend fliesse das Wasser. Die Ärzteorganisation «Médecins Sans Frontiers» (MSF) bestätigt das und fügt an, dass es auf 1300 Menschen einen Wasserhahn gibt. «Wie soll man sich so vor dem Virus schützen?», fragt Frozish.
«Das wird ein Desaster»
Die geflüchteten Menschen in Moria verbringen einen Grossteil des Tages in Warteschlangen. Schlangen gibt es für alles: fürs Essen, das Wasser oder ärztliche Behandlung. An «Physical Distancing» ist nicht zu denken.
Der MSF-Arzt und medizinische Koordinator für Griechenland Apostolos Veizis will sich gar nicht vorstellen, was passiert, wenn Corona im Moriacamp ankommt. «Das wird ein Desaster», sagt er.
Denn es seien schlicht zu viele Leute auf kleinem Raum, die hygienischen Bedingungen seien schlecht und es gäbe kaum ärztliche Versorgung. Die Gesundheitsbehörden hätten auch keinen realistischen Plan, wie mit einem Ausbruch von Corona in Camps umgegangen werden soll.
Bundesrat will keine Evakuierung
Diese Realitäten beschäftigen nun auch die hiesige Politik. Amnesty International Schweiz und die SP fordern eine sofortige Evakuierung der griechischen Flüchtlingslager. Die SP-Nationalrätin Samira Marti pocht auf die humanitäre Verantwortung der Schweiz. «Das heisst wir nehmen mehrere tausend Menschen auf und fordern gleichzeitig andere europäische Staaten dazu auf, es uns gleichzutun.»
Der Bundesrat will sich nicht auf solche Forderungen einlassen. Im Januar hat Bundesrätin Karin Keller-Sutter versprochen, mehrere minderjährige Flüchtlinge, die einen Bezug zur Schweiz haben, aufzunehmen. Dieses Programm sei aber erst mal auf Eis gelegt, erklärt Barbara Büschi, stellvertretende SEM-Direktorin.
Der MSF-Arzt Veizis versteht das nicht: «Das Coronavirus darf keine Entschuldigung sein. Viele Länder evakuieren auch ihre Bürgerinnen und Bürger in der Mitte der Krise.» Bundesrätin Karin Keller-Sutter verweist auf die bereits geleistete humanitäre Hilfe vor Ort und sagt: «Die Schweiz kann nicht einfach allein, ein Kontingent von Flüchtlingen aufnehmen.»
Selbsthilfe statt Warten
Die Menschen in Moria vertrauen schon lange nicht mehr auf die Hilfe von Regierungen. Daher hat der ehemalige Apotheker Omid Raihan Alizada aus Afghanistan das «Moria Corona Awareness Team» ins Leben gerufen, eine Gruppe von Geflüchteten, welche die Anwohnerinnen und Anwohner des Camps über die Gefahr des Coronavirus aufklärt.
«Wir haben so lange auf die Organisationen und die griechische Regierung gewartet. Aber leider hat niemand etwas gemacht. Daher haben wir entschieden, und selber zu helfen», sagt Alizada. Sein Team hat eine kleine Wasserstelle am Eingang des Camps aufgestellt, damit das Virus nicht von draussen hereingetragen wird. Doch auch dort kämpfen sie mit Wasserknappheit, sagt Alizada.