Privatschulen übernehmen häufig Sonderschulkinder – weil öffentliche Schulen mit der Integration von verhaltensauffälligen Schulkindern ans Limit kommen. Das zeigen Recherchen in den Kantonen Luzern und Aargau. Wir besuchen zwei Privatschulen.
«Fast alle Kinder hier haben in der öffentlichen Schule nicht ‹funktioniert›», sagt etwa Armin Fähndrich, Gründer der Privaten Regelschule Zeit-Kind-Schule und Präsident der IG Luzerner Privatschulen. Aktuell beschult er 100 Kinder. Darunter Autisten, Kinder mit ADHS oder psychischen Problemen. Etwa die Hälfte hätte Sonderschulstatus, sagt Fähndrich. Doch er integriere alle in seine Regelklassen.
Ähnlich klingt es im Kanton Aargau. «Wir sind das Überlaufbecken», beschreibt Urs Ryser, Präsident des Vereins Aargauer Privatschulen, die Situation. Der Verein hat ausgerechnet, dass im Aargau 87 Kinder eine private Regelschule besuchen. Die Volksschule sei offenbar am Anschlag und es fehle im Kanton an Sonderschulplätzen. Er erzählt von Fällen, in denen Kinder aus der Regelschule ausgeschlossen wurden und später in der Heilpädagogischen Sonderschule aus Platzgründen abgewiesen worden seien. Da bleibe oft nur die Privatschule.
Volle Sonderschulen
Die öffentliche Schule kommt vielerorts mit der Integration von verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern stark an ihre Grenzen. Obwohl sich die Schweiz zu einem integrativen Schulsystem verpflichtet hat, steigt die Zahl der separierten Sonderschülerinnen und -schüler, wie Recherchen der «Rundschau» in mehreren Kantonen zeigen.
Der Kanton Bern musste allein im vergangenen Schuljahr 50 neue Sonderschulklassen schaffen. Im Kanton Aargau wurden zusätzliche 150 Plätze geschaffen und Zürich plant über 3 Jahre 97 neue Sonderschulplätze. Die grösste Gruppe sei die der Kinder mit Lern- und Verhaltensbeeinträchtigungen.
Behörden setzen auf Private
Auch Behörden setzen oft auf private Regelschulen als Auffangbecken. So schliesst etwa der Kanton Luzern Verträge ab für einzelne Sonderschulkinder. Martina Krieg vom Luzerner Volksschulamt sagt: «Wir haben einfach zunehmend mehr Kinder, die im Bereich Verhalten, also in der sozioemotionalen Entwicklung, Probleme machen und eine Herausforderung für die Lehrpersonen sind.» Manchmal seien Privatschulen einfach die beste Lösung, etwa bei Kindern mit Depressionen oder Ängsten. Private hätten hier spezielle Settings wie zum Beispiel kleine Klassen. Der Kanton komme für die Kosten auf.
Auch im Kanton Aargau klopften Schulleitungen und Gemeinden direkt bei den Privatschulen an, erzählt Urs Ryser. «Sie suchen verzweifelt nach Lösungen.» Er kritisiert, dass die Gemeinden zwar das Schulgeld bezahlten, nicht aber den speziellen Förderbedarf der Kinder. Das zahle er heute aus dem eigenen Sack.
Expertin warnt
Caroline Hess-Klein vom Dachverband der Behindertenorganisationen, Inclusion Handicap, ist alarmiert: «Sonderschulstatus heisst, das Kind braucht professionelle Unterstützung durch Fachpersonen, zum Beispiel durch Heilpädagoginnen.» Wenn es an Privatschulen keine solche Unterstützung erhalte, habe man das Problem nicht gelöst.
Ausserdem, so die Expertin, würden zusätzliche separative Gefässe geschaffen. Das widerspreche dem Gedanken der Integration.