Hitzewarnungen, akute Waldbrandgefahr, ausgetrocknete Flussbette – und zu allem Überfluss muss das Arsenal an Raketen für die Bundesfeier im Keller verstaut werden. Sommer satt hat auch seine Schattenseiten. Und schon werden Vergleiche mit dem Rekordsommer 2003 gezogen, der sich ins Gedächtnis von Herr und Frau Schweizer eingebrannt hat.
Ungleich weiter blickt der emeritierte Klimahistoriker Christian Pfister zurück, und auch er wartet mit Rekordzahlen auf: Die diesjährige April- bis Juli-Periode sei die niederschlagsärmste seit Messbeginn: «Nur zwei Drittel des langjährigen Durchschnitts an Niederschlag sind gefallen.»
Kein Wunder, sprechen Experten vom «Dürresommer 2018», entgegen dem «Hitzesommer 2003»: «Wir leiden jetzt schon vier Monate unter extremer Trockenheit. Das war damals nicht der Fall», sagt Pfister.
Eine Dürre von apokalyptischen Ausmassen
Um die verheerenden Auswirkungen längerer Dürreperioden zu veranschaulichen, erinnert der Berner Historiker an die Megadürre von 1540. Der Jahresniederschlag betrug nur gerade ein Drittel der üblichen Menge, teils fiel wochenlang kein Tropfen Regen über Mitteleuropa. In Basel und Köln liess sich der Rhein auf dem Rücken von Pferden überqueren. Die fatale Kombination aus Hitze und Trockenheit hinterliess verbrannte Erde.
Pfister fasst die drastischen Folgen für die Umwelt zusammen: «Die Fische trieben bauchoben im lauwarmen Wasser, die Vegetation verdorrte, das Vieh verhungerte. Überall – von Frankreich bis Polen – brannten die Wälder, bei Temperaturen von wohl über 40 Grad. Grosse Teile Europas lagen unter einem dichten Rauchschleier.»
Das klingt nach beinahe apokalyptischen Verhältnissen, und tatsächlich suchte unermessliches Leid die Zeitgenossen heim. Die Menschen in Mitteleuropa hätten flächendeckend unter Epidemien gelitten, wahrscheinlich seien Hunderttausende gestorben, so Pfister.
Die Megadürre von vor bald 500 Jahren dürfte auch Skeptiker des Klimawandels auf den Plan rufen: Schliesslich ereignete sich der klimatische Supergau lange bevor es eine industrialisierte Wirtschaft gab.
Was wir derzeit erleben, zeigt an, wie die normalen Sommer der Zukunft aussehen
Doch Pfister warnt vor falschen Schlüssen: «Solche Ausreisser wie 1540 gab es immer, allerdings extrem selten.» 1542 sei bereits ein kaum je überliefertes, nasskaltes Jahr ohne Sommer gewesen. Heute müsse man dagegen von einem Trend sprechen: «Was wir derzeit erleben, zeigt an, wie die normalen Sommer der Zukunft aussehen. Dazu kommen Extreme, die wir noch nie gesehen haben.» Der Klimawandel sei kein Papiertiger, warnt Pfister.
Was droht, wenn der Regen ausbleibt
Der Klimahistoriker ist entsprechend alarmiert: Die Trockenheit könnte sich im Extremfall bis zum Jahresende halten. Es lasse sich aber erst am Ende des Jahres sagen, ob Vergleiche zu 1540 zulässig seien.
Doch lassen sich solche Vergleiche von der damaligen, mittelalterlichen Agrargesellschaft ins post-industrielle Zeitalter ziehen, ist der moderne Mensch den Launen der Natur immer noch ausgeliefert? Durchaus, befindet Pfister.
Eine Winterdürre, wie sie das VBS berechnet habe, würde zu volkswirtschaftlichen Kosten von rund 100 Milliarden Franken führen, sagt Pfister – und das nur für die Schweiz. Konkret würde eine Rekorddürre etwa die Viehzucht (inklusive Notschlachtungen) und den Pflanzenbau treffen; schliesslich würde eine Energieknappheit folgen. Denn Atomkraftwerke brauchen Unmengen an Kühlwasser, auch die Wasserkraftwerke leiden.
Der Rückwärtsgang lässt sich nicht mehr einlegen: Wir müssen lernen mit diesen Dürren zu leben.
Aber lässt sich doch noch eine Trendwende einleiten? Eine klimapolitische Vollbremsung sei vielleicht möglich, sagt Pfister, «aber der Rückwärtsgang lässt sich nicht mehr einlegen. Wir müssen lernen mit diesen Dürren zu leben.»
Doch Pfister schliesst mit einem hoffnungsvollen Fazit: Extremereignisse würden zwar weh tun, «aber sie helfen auch, umzudenken. Menschen lernen praktisch nur aus Katastrophen. Sie werden klüger und passen sich an.»