Das Communiqué der jurassischen Staatsanwaltschaft kommt in nüchternem Juristenfranzösisch daher, doch es erzählt eine tragische Geschichte. Von einer Frau, die ihren Mann wegen eines sexuellen Übergriffs auf sie anzeigt, zudem habe er sie gefesselt und mit einer Waffe bedroht. Der Mann ist teilweise geständig.
Die Polizei reagiert, verfügt ein Kontakt- und Rayonverbot für den Mann, er muss die Schlüssel zum gemeinsamen Haus abgeben, zudem werden seine Feuerwaffen beschlagnahmt.
Acht Tage später werden die Leichen von beiden gefunden, die Umstände deuten auf einem Kampf hin. Noch ist der genaue Tathergang nicht geklärt, die Untersuchungen dauern an. Doch klar ist: Häusliche Gewalt spielt hier eine wichtige Rolle.
Jede zweite Woche stirbt eine Frau in der Schweiz durch häusliche Gewalt. Während Gewaltdelikte allgemein rückläufig sind, nehmen die Fälle von häuslicher Gewalt gemäss Statistik zu. Häusliche Gewalt sei unter den Gewaltdelikten in der Schweiz das grösste Problem, sagt Jonas Weber, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern.
«Opferschutz kollidiert mit Beschuldigtenrechten»
«Wenn ein Opfer geschützt werden muss, heisst das unter Umständen, dass der potenzielle Täter in Haft genommen werden muss. Für diese Person gilt aber die Unschuldsvermutung.» Wenn jemand in Haft komme, sei das ein einschneidender Freiheitsentzug. «Deshalb kollidiert hier Opferschutz mit Beschuldigtenrechten.»
Um bei einem mutmasslichen Täter eine Untersuchungshaft anzuordnen, müsse eine Rückfallgefahr vorhanden sein. Diese direkt nach einer ersten Einvernahme abzuschätzen, sei enorm schwierig, so Weber.
Weitere Massnahmen für potenzielle Gewalttäter seien eine Polizeihaft von 2-3 Tagen, oder Kontakt- und Rayon-Verbote. Auf der Opferseite gebe es ebenfalls verschiedene Schutzmöglichkeiten, sagt Weber. «Ein Platz in einem Frauenhaus oder einer Frauen-Notwohnung etwa, doch diese Plätze sind rar».
Auch Polizeischutz wäre möglich. In den meisten Fällen werde darauf aus Kostengründen aber verzichtet, kritisiert der Strafrechts-Professor: «Es stellt sich die Frage, wie viel Opferschutz wert ist.» Es gebe Einzelfälle, wo man dieses Geld aufwenden müsse, zumindest um ein paar Tage abzuwarten bzw. zu beobachten, wie sich der Täter gegenüber dem Opfer verhalte.
Überwachung in Echtzeit gefordert
Das Zivilgesetzbuch wurde überarbeitet, ab 2022 sollen potenziell gefährliche Personen mit elektronischen Fussfesseln überwacht werden können. Allerdings nicht in Echtzeit.
Diesen Punkt kritisiert die Grüne Nationalrätin Sibel Arslan, die in einem Vorstoss den Bundesrat dazu auffordert, Instrumente zu einem wirksameren Opferschutz bei so genannten Hochrisikofällen von häuslicher Gewalt zu prüfen. Auch die Strafprozessordnung wird im Moment überarbeitet. Es soll einfacher werden, Gewalttäter wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft zu nehmen, notfalls auch länger.
Darüber reden, bevor etwas passiert
Am meisten Potenzial im Kampf gegen häusliche Gewalt sieht Weber in der sogenannten Gefährderansprache: «Wenn die Polizei Kenntnis hat von solchen Übergriffen, geht sie aktiv auf den Täter zu und spricht diesen immer wieder an.»
Dieses Konzept wurde 2012 im Kanton Zürich als Reaktion auf mehrere Fälle von häuslicher Gewalt entwickelt und wird mittlerweile in immer mehr Kantonen angewandt. Darüber reden, bevor etwas passiert.