«Ethylenoxid verursacht Hirntumore. Ihr steckt es euch in das verdammte…, ins Gehirn! Die Leute müssen jetzt aufwachen», appelliert der Mann in seine Handy-Kamera. Auf den Corona-Teststäbchen befinde sich eine tödliche Chemikalie: Ethylenoxid. Das Video wurde auf Youtube tausendfach angeklickt und verbreitete sich rasend schnell auf Social-Media-Kanälen.
Das Problem: Der Youtube-Warner beschäftigt sich mit einem medizinisch-wissenschaftlichen Thema, ohne dabei auch nur ansatzweise wissenschaftlich vorzugehen. Seine Quelle: Google. Seine Message: Alarmstufe rot. Es gibt eine Vielzahl weiterer Posts und Videos mit Falschaussagen, die nach diesem Muster funktionieren.
Krebserregend, oder doch nicht?
Tatsache ist, dass das Gas Ethylenoxid zwar als «giftig» taxiert wird. Das Bundesamt für Umwelt schreibt auf seiner Webseite, dass Ethylenoxid «krebserregend» und «toxisch» sei. Doch da steht auch, dass es als Desinfektionsmittel für medizinische Geräte eingesetzt wird. Beispielsweise werden Kanülen und Wundverbände seit Jahren damit sterilisiert. Auch die Corona-Teststäbchen werden mit Ethylenoxid (EO) sterilisiert, wie auf der Verpackung zu lesen ist.
Das ergibt Sinn, denn niemand möchte sich Teststäbchen mit Bakterien, Viren oder Pilzen in die Nase einführen. Wichtig ist: Nach dem Sterilisierungsprozess werden die Stäbchen «entgast», also ausgelüftet, das Gas verflüchtigt sich. Es bleiben keine Rückstände zurück, die gefährlich sein könnten.
Eine gefährliche Behauptung
Doch diese Recherche macht der Mann auf Youtube offenbar nicht – er verwendet das kürzeste und dramatischste Ergebnis seiner Google-Suche, «krebserregend», verbindet es mit kruden Gerüchten von angeblichen Todesfällen nach Corona-Tests und schickt seine «Kürzest-Recherche» in die weite Welt von Social Media. Mit fatalen Folgen: Einige Menschen glauben solche Geschichten und verbreiten sie weiter, ohne zu überprüfen. Und verzichten dann möglicherweise auf einen Test.
Eine vertiefte Google-Suche würde sehr schnell zu Studien führen, die aufzeigen, dass von Ethylenoxid keine unmittelbare Gefahr ausgeht, wie beispielsweise eine amerikanische Studie zeigt: Wenn eine Million Menschen über 70 Lebensjahre hinweg dauerhaft eine Ethylen-Konzentration von 0.0002 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft einatmen würden, «dann wird statistisch gesehen einer davon an Krebs erkranken».
Die Dosis macht das Gift
Die Voraussetzungen für eine krebserregende Dosis Ethylenoxid auf Teststäbchen, die für ein paar Sekunden in die Nase eingeführt werden, sind also kaum erfüllt. Denn wie bereits der Schweizer Arzt und Alchemist Paracelsus sagte: «Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.» Niemand würde auf die Idee kommen, ein Glas Wein als «giftig» zu bezeichnen. Doch wenn jemand zu viel Wein trinkt, vergiftet er sich. So ist es auch bei Ethylenoxid: Die Dosis macht es aus.