Mit eingefrorenem Lächeln starrt Elektriker-Lehrling Luca auf sein Wasserglas, während Zuckerwürfel um Zuckerwürfel darin verschwindet. Das kleine Experiment soll veranschaulichen, wie viel Zucker in der Cola steckt, die er gerade eben getrunken hat. Der letzte Würfel sinkt zu Boden und vermischt sich mit den restlichen fünfeinhalb.
Ungläubig schaut Luca hoch, «das ist doch viel zu viel. Ich hätte maximal die Hälfte reingeworfen». Der Lehrling sitzt in der Mensa der Berufsschule Aarau. Er zerknüllt seine leere Liter-Flasche Cola. Am Morgen war sie noch voll und enthielt die vierfache Menge Zucker des Wasserglases. «So eine Flasche trinke ich jeden Tag», sagt er leise, «das muss aufhören.»
Das weisse Gift
Luca ist nicht der einzige, der hier Unmengen an Süssgetränken in sich reinschüttet, Lehrlinge die ihr Mensa-Essen mit Wasser kombinieren sind in der Unterzahl. Vielen ist nicht bewusst, wie viel Zucker in den Colas, Fantas und Red Bulls steckt. «Deshalb brauchen wir eine Zuckersteuer», sagt Josef Laimbacher, «sie soll wachrütteln und Jugendlichen vor Augen führen, wie ungesund diese Getränke sind. Zucker erhöht das Risiko für Herzerkrankungen, Diabetes und Übergewicht».
Laimbacher ist es sich gewohnt, seine Argumente möglichst anschaulich vorzubringen. Als Leiter des Kinderspitals Ostschweiz hat er die Aufgabe, übergewichtigen Kindern und Jugendlichen verständlich zu machen, wie schädlich Zucker ist und wo sich das weisse Gift überall versteckt. Der bärtige Appenzeller stellt eine Flasche Cola auf seinen Bürotisch. Daneben liegen fein säuberlich aufgereiht 40 Würfelzucker. «Diese Menge erschlägt einem, wenn man das zum ersten mal sieht.»
Zuckersüchtige Schweizer
40 Würfelzucker: eine Dosis, die Erwachsene in einer knappen Woche nicht überschreiten sollten. Pro Tag empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation maximal 25 Gramm, also etwa sechs Würfelzucker. Von dieser Grenze sind wir Schweizer weit entfernt, im Durchschnitt konsumieren wir täglich über 100 Gramm Zucker und sind damit in der Weltrangliste weit vor den USA.
«Der Bürger soll selber entscheiden können, wie viel Zucker er konsumiert», sagt BDP-Nationalrat Lorenz Hess, «eine Zuckersteuer ist unsinnig». Hess ist Präsident der Informationsgruppe Erfrischungsgetränke, einem Zusammenschluss der Schweizer Mineral- und Softdrink-Produzenten. Diese wehren sich vehement gegen die Einführung einer Zuckersteuer in der Schweiz.
Die Politik scheint auf ihrer Seite. Der Ständerat diskutierte diesen März die Einführung einer Zuckersteuer in der Schweiz und schickte sie mit 24 zu drei Stimmen bachab. Wann das Geschäft im Nationalrat behandelt wird, ist noch nicht klar.
Industrie setzt auf Freiwilligkeit
«Die Lebensmittel-Industrie senkt bereits jetzt freiwillig den Zuckergehalt in ihren Produkten», sagt Hess und spricht damit die Erklärung von Mailand an. Vor drei Jahren hatten Innenminister Alain Berset, die Schweizer Lebensmittelproduzenten und Vertreter des Detailhandels Ziele zur Reduktion von Zucker vereinbart. Mit dem Ergebnis, dass der Zuckergehalt in Joghurts um drei Prozent gesunken ist und jener in Frühstücksflocken um fünf Prozent.
Da ging es in Grossbritannien um einiges schneller vorwärts. Das Land erhebt seit diesem April Steuern auf Süssgetränke. Auf diesen Druck hin liess die Softdrink-Industrie den Zuckergehalt purzeln. Die gleichen Markengetränke enthalten in Grossbritannien mittlerweile halb so viel Zucker wie in der Schweiz. Beispielsweise trinkt man hierzulande zum halben Liter Schweppes elf Würfelzucker mit, in Grossbritannien sind es sechs. Noch krasser bei der Fanta Orange: Die Schweizer Version enthält 13 Würfelzucker, die englische sechs. Der Zuckerbomben-Klassiker Coca-Cola bleibt mit 13 Würfelzuckern hingegen auch auf der Insel seinem weltweiten Rezept treu.
«Ich verstehe nicht, weshalb die Industrie nicht flächendeckend dem Beispiel Grossbritanniens folgt», sagt Übergewichts-Experte Josef Laimbacher, «in ganz Europa wird schliesslich dieselbe Diskussion geführt». Eine Vertreterin der Industrie, Nestlé Schweiz antwortet darauf: «Wir werden die Erfahrungen unserer britischen Konsumenten nun genau beobachten, um zu schauen, ob ein solches Rezept in naher Zukunft auch in anderen Regionen eingeführt werden könnte.»