Die Schwestern Sofia und Milana kamen gleich zu Beginn des Kriegs in der Ukraine mit ihrer Mutter als Flüchtlinge nach Muri (BE). Der Vater musste in der Ukraine bleiben.
Deutsch sprachen Sofia und Milana nicht. Jetzt, neun Monate später, hat die 15-jährige Sofia gute Chancen, aufs Gymnasium zu kommen: «Mein Lieblingsfach ist Mathe, darin bin ich gut.» Und auch Deutsch lernt sie schnell. «Deutsch ist nicht so schwierig», sagt Sofia.
Von Beginn weg waren Sofia und Milana in Regelklassen. Was bei Sofia gut funktionierte, gelang bei ihrer jüngeren Schwester nicht. Die 11-jährige Milana litt in der Regelklasse, verstand kein Wort, wechselte im Sommer in die Willkommensklasse und begann erst dort, Deutsch zu lernen.
Genaue Übersicht gibt es nicht
Das Beispiel von Sofia und Milana zeigt: Ein Patentrezept für die Integration gibt es nicht, wie auch der Schulleiter der Seidenbergschule, Enzo Zwahlen, sagt. Es komme stark auf das einzelne Kind an. Das Wichtigste sei, dass die Kinder zur Schule gehen könnten: «Für sie ist das notwendig, weil es ihnen eine gewisse Struktur in ihrem Leben gibt.»
Wie viele ukrainische Schülerinnen und Schüler so wie Sofia und Milana seit Kriegsausbruch in der Schweiz zur Schule gehen, dazu gibt es keine genauen Zahlen. Laut dem Staatssekretariat für Migration haben seit Kriegsausbruch fast 17'000 schulpflichtige Kinder zwischen 4 und 15 Jahren den Schutzstatus S erhalten.
Schule ist absolut notwendig, weil es den Kindern eine gewisse Struktur in ihrem Leben gibt.
Doch ob und wo sie alle zur Schule gehen, ob in Regelklassen oder in Integrationsklassen, das ist national nicht erfasst. Auch bei der Erziehungsdirektorenkonferenz EDK gibt es keine Zahlen dazu, denn das Bildungswesen ist kantonal organisiert.
Planen ist schwierig für die Schulen
Im Kanton Bern zum Beispiel sind es derzeit rund 1900 Kinder, davon rund 700 in Regelklassen. Doch die Zahlen verändern sich ständig.
Keine einfache Situation, sagt Erwin Sommer, Leiter des Amtes für Volksschulen im Kanton Bern: «Wir planen, die Willkommensklassen im zweiten Semester weiterzuführen. Wir bekommen Gesuche von den Gemeinden, die über die Zahlen verfügen.» Allerdings: «Mit dem Schutzstatus S können die Familien umziehen, sie sind nicht verpflichtet, an einem Ort zu bleiben. Das macht es teilweise schwierig, den Überblick zu behalten.»
Ausserdem hat die Lage im Kriegsgebiet Folgen für die kantonale Schulplanung. Man wisse nicht, ob im Lauf des Januars, wenn es in der Ukraine noch kälter wird, wieder mehr Menschen flüchten, so Sommer.
Mit dem Schutzstatus S können die Familien umziehen, sie sind nicht verpflichtet, an einem Ort zu bleiben.
Für die Schulen heisse das, flexibel zu sein, sagt Schulleiter Enzo Zwahlen. Er hat in den letzten Monaten gelernt, mit ungenauen Zahlen zu planen.
Das Wichtigste sei jedoch, dass die Kinder bleiben könnten, wenn sie an einem Ort angekommen seien. Müssten die Kinder eine Gemeinde nach ein paar Monaten wieder verlassen – etwa, weil sie in einem Durchgangszentrum untergebracht sind –, «dann finde ich das schon schwierig für ein Kind».
«Ich will hier bleiben und studieren»
Zusätzlich zum Unterricht im Seidenberg haben Milana und Sofia jeden Tag Online-Unterricht aus der Ukraine. Damit sie dort den Anschluss nicht verlieren – und so später auch dort an die Universität gehen könnten.
Wie weiter? Je länger sie in der Schweiz sind, desto besser sie sich integrieren, desto schwieriger wird diese Frage für die beiden. Während die kleinere Schwester Milana unbedingt zurück in die Heimat will, sagt Sofia: «Ich will hier bleiben, ich will studieren – und Zahnärztin werden.» Denn langfristig seien die Perspektiven für sie in der Schweiz besser als in der vom Krieg versehrten Ukraine.