Ein Holzhaus, eingebettet in der Appenzeller Hügellandschaft, mit Blick in die Berge: Hier sind 37 Flüchtende aus der Ukraine gestrandet. In diesem Haus haben sie eine erste Unterkunft in Europa gefunden, das ihnen ein Dach über dem Kopf gibt und eine Wohnung zum Durchatmen, bevor es weitergeht.
Das Kinderdorf Pestalozzi bietet keine Bleibe für längere Zeit. Es biete Soforthilfe, sagt Geschäftsführer Martin Bachofner. Diese Soforthilfe nehmen vier Frauen in Anspruch. Sie sind am 24. Februar aus der Ukraine geflüchtet. Am Morgen noch hätten sie Detonationen gehört, hätten zugewartet bis am Nachmittag und dann hätten sie innert 20 Minuten entscheiden zu gehen. Das erzählt Cristina. Sie spricht gut Englisch. So auch die 16-jährige Natasya, die Tochter ihrer Freundin Natalia.
Zusammen mit Natalia und ihrer Mutter Irina sind sie mit dem Auto aus Odessa, der Stadt am Schwarzen Meer im Süden der Ukraine, in die Schweiz geflüchtet. Sie seien in Richtung Moldawien losgefahren. Nach dreizehn Stunden seien sie von freiwilligen Helfern mit warmem Tee empfangen worden, erzählt Cristina der SRF-Reporterin.
Ihr Ziel, so Cristina, die in Odessa als Immobilienhändlerin gearbeitet hat, sei schnell klar gewesen. Eine Bekannte aus Zürich habe ihr den Kontakt zum Kinderdorf Pestalozzi vermittelt, wo sie nach acht Tagen, am Sonntag, 6. März, angekommen sind.
Wir können Soforthilfe leisten hier in Trogen – und das machen wir auch.
Natalias Mann und Natasyas Vater mussten sie zurücklassen. Er sei in Kiew, könne sein Land nicht verlassen und wolle in den Krieg, erzählt Natasya in gebrochenem Englisch. Sie versuche ihren Vater am Telefon davon abzuhalten. An Schlaf sei nicht zu denken. In der Nacht fürchte sie sich. Sie denke auch an ihre Freundinnen, die in der Ukraine blieben, patriotisch seien oder kein Geld hätten für eine Flucht. Sie habe regen Kontakt mit ihnen über die sozialen Medien.
Die vier Frauen scheinen ruhig, auch wenn ihnen die Sorge ins Gesicht geschrieben ist. Was sie in den nächsten Wochen erwartet, ist unklar. Martin Bachofner vom Kinderdorf Pestalozzi hat auch keine schlüssige Antwort auf ihre Fragen. Klar ist einzig: Hier im Dorf könnten sie nicht bleiben.
Wir müssen plötzlich Windeln zur Verfügung stellen.
Das Pestalozzi-Dorf - heute ein Bildungszentrum - beherbergt seit 2014 keine Flüchtlinge und keine Flüchtlingskinder mehr. Die aktuelle Situation sei darum auch für die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi völlig neu und ziemlich spontan. «Ja, wir haben Babys da und müssen plötzlich Windeln suchen und Babynahrung zur Verfügung stellen», und das sei in der Tat eine neue Herausforderung für unser Team.
Im Moment haben 37 Frauen und Kinder aus der Ukraine im Kinderdorf Pestalozzi über Trogen im Appenzellerland Zuflucht gesucht. Martin Bachofner rechnet in den nächsten Tagen mit weiteren insgesamt 130 Menschen, 50 davon seine über die evangelische Kirchgemeinde Kirche Trogen vermittelt worden. Ihnen könne das Pestalozzi-Dorf vorübergehend eine Wohnung zur Verfügung stellen und Lebensmittel zum Kochen. Wer für die Kosten aufkomme, da sei man mit Bund und Kanton am Verhandeln.
Die vier Frauen aus Odessa wollen keine Flüchtlinge sein, sondern «Frauen aus der Ukraine», sagt Cristina. Sie wollten in der Schweiz leben, bis es möglich sei, wieder heim zu kehren – zurück in die Ukraine. Und die 16-jährige Natasya ergänzt, dass sie immer davon geträumt habe, in Europa zu leben. Jetzt aber wolle sie nichts lieber wie nach Hause in die Ukraine.