Grossmutter Iryna, Mutter Alesja und Tochter Kristina: Seit einem Monat lebt die Familie aus Charkiw bei Nadja Rosenberger in Chur. «Seither telefoniere ich mehrmals täglich mit Behörden und verschiedenen Ämtern», sagt die Lehrerin.
Sie hatte angenommen, sie bekomme etwa für Behördengänge Unterstützung – ein Irrtum. «Bei der Stadt sagte man mir, dafür gebe es keine Ressourcen.»
«Das ist frustrierend»
Acht Stunden habe sie in den letzten Wochen am Telefon verbracht: Migrationsamt, Soziale Dienste bei Stadt und Kanton, Schule. «Das ist schon frustrierend», sagt sie. «Die grosse Solidarität, die in der Bevölkerung da ist, gibt es von behördlicher Seite nicht.»
Auch mit der finanziellen Hilfe harze es. Erst Grossmutter Iryna hat den Schutzstatus S, der zum Bezug von Sozialhilfe berechtigt. Sie hat bisher 300 Franken erhalten. Mutter Alesja hingegen hat während den letzten vier Wochen insgesamt für sich und ihre vier-jährige Tochter lediglich Essensgutscheine im Wert von 180 Franken von der Stadt Chur bekommen.
Ohne Schutzstatus S darf Alesja auch keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Folge: Die Familie ist unterbeschäftigt und mehrheitlich daheim.
Behörden geben sich selbstkritisch
Bezeichnend: Die Behörden sehen die Mängel und geben sich selbstkritisch, noch sei vieles im Aufbau. Etwa bei der Unterstützung der Gastfamilien. «Wir müssen auf allen Ebenen besser werden, da ist Luft nach oben», sagt der zuständige Churer Stadtrat Patrik Degiacomi (SP).
Rund 1000 Flüchtlinge kommen aktuell täglich in die Schweiz. Das Maximal-Szenario des Bundes: 300'000 Ukrainerinnen und Ukrainer bis Ende Jahr. Ein Ausblick, der den Behörden Sorge bereitet.
Keine Unterkünfte mehr
Auch in der Gemeinde Aadorf im Kanton Thurgau. Knapp 10'000 Menschen leben hier. 45 Flüchtlinge sind bislang untergebracht – in Privathaushalten.
In den nächsten Tagen weist der Kanton der Gemeinde nochmals 16 Flüchtlinge zu. Aber es fehlt an Unterbringungsmöglichkeiten. Gemeindepräsident Matthias Küng (Die Mitte) weiss nicht, wo er die Neuankömmlinge unterbringen soll. Passenden privaten Wohnraum gibt es nicht: Die Angebote sind zu teuer oder ungeeignet.
Die Gemeinde suchte darum per Inserat in der lokalen Zeitung nach weiteren Gastfamilien – jedoch erfolglos. Wie weiter? «Das wird schwierig, wir müssten die Turnhalle umfunktionieren», sagt der Gemeindepräsident. «Das ist nicht das Szenario, das wir uns erhoffen.»
Er fühle sich ein Stück weit alleingelassen von Bund und Kanton, sagt Küng. Aber das sei so im System angelegt: «Schliesslich sind die Leute in den Gemeinden – da sind wir gefordert.»