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Folgenlose Fluglotsenfehler vor Gericht – macht das Sinn?
Aus Info 3 vom 19.02.2021. Bild: Keystone/Archiv
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Fluglotsen unter Anklage Sind Strafverfolgungen in der Luftfahrt kontraproduktiv?

Kritik an Druck auf Fluglotsen: Skyguide sieht ihre bewährte Fehlerkultur zunehmend durch Gerichtsverfahren gefährdet.

Das Zürcher Obergericht hat heute einen Fluglotsen von Skyguide vom Vorwurf fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs freigesprochen. Er hatte 2012 am Flughafen Zürich einer Sportmaschine eine Anweisung gegeben, die beinahe zur Kollision mit einem Passagierjet geführt hätte. Passiert ist zum Glück nichts. Die Begründung des Freispruchs: Der Lotse habe rechtzeitig korrigierend eingegriffen.

«Just Culture» als Berufsstolz

Mario Winiger ist seit 20 Jahren Flugverkehrsleiter bei Skyguide. In dieser Zeit seien auch ihm schon Fehler passiert, dazu müsse ein Lotse stehen: «Das ist der Berufsstolz. Wir wollen das System verbessern. Daher ist es Pflicht, Fehler zu melden und zu verhindern, dass einem anderen Kollegen der Fehler nochmals passiert.»

Es ist Pflicht, Fehler zu melden und zu verhindern, dass einem anderen Kollegen der Fehler nochmals passiert.
Autor: Mario Winiger Flugverkehrsleiter, Skyguide

«Just Culture» nennt sich das Prinzip: Wer einen Fehler gemacht hat, meldet diesen der Skyguide-Sicherheitsabteilung. Diese analysiert, ob Massnahmen getroffen werden müssen. Bei grösseren Fällen wie Beinahe-Kollisionen gibt es eine zusätzliche Untersuchung der Schweizer Unfalluntersuchungsstelle.

Um sicherzustellen, dass die Lotsen zu ihren Fehlern stehen, müssen sie nicht mit Konsequenzen rechnen, solange niemand zu Schaden gekommen ist und die Lotsen nicht grobfahrlässig oder gar vorsätzlich gehandelt haben.

Skyguide: Anklagen sind Gift für die Fehlerkultur

Dass die Zürcher Staatsanwaltschaft trotzdem schon mehrere Lotsen aufgrund von «Just Culture»-Meldungen angeklagt habe, sei Gift für diese Fehlerkultur, sagt Winiger.

Denn die Angst vor Strafverfolgung wirke sich direkt auf die Fehlermeldungen aus: «Vor diesen Strafuntersuchungen erhielten wir sehr umfassende und detaillierte Meldungen. Heute versucht man sich auch ein bisschen zu schützen und sagt einfach: Ich habe einen Fehler gemacht zu dieser Zeit.»

Staatsanwaltschaft: nur grosse Fälle

Verschlechtern also die Strafuntersuchungen die Fehlerkultur in der Luftfahrt? Der Zürcher Staatsanwalt Rolf Jäger, der im aktuellen Fall die Anklage vertrat, widerspricht. Die Justiz schalte sich nur bei grossen Fällen ein, bei denen eine hohe Gefahr für ein Unglück bestanden habe.

Es werde ja nicht nur untersucht, um jemanden zur Rechenschaft zu ziehen, sondern um künftig Vorfälle zu verhindern, sagt Jäger: «Wir haben festgestellt, dass immer nach Urteilen die Vorschriften überprüft und wichtige Änderungen im Ablauf eingeführt wurden.»

Wir haben festgestellt, dass immer nach Urteilen die Vorschriften überprüft und wichtige Änderungen im Ablauf eingeführt wurden.
Autor: Rolf Jäger Staatsanwalt, Kanton Zürich

Kurz erklärt: «Just Culture»

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Der Berufsverband Cockpitpersonal Swiss (Pilots of Swiss) erklärt den Begriff «Just Culture» wie folgt: «Wenn in einer langen Kette der Fliegerei etwas passiert, so liegt der Fehler meist nicht nur bei einem Einzelnen, sondern in der Verzahnung von Schwachstellen. ‹Just Culture› vertritt den Ansatz, dass nicht einfach nur derjenige bestraft wird, bei dem der letzte Fehler in der Kette passiert ist, sondern dass im System die Schwachstellen gesucht werden, die kumulativ zum Unfall oder Fast-Unfall geführt haben. Das System als Ganzes muss die Sicherheit garantieren. Zur ‹Just Culture› gehört auch, dass die Akteure im System alle Probleme melden, die kritisch waren, ohne bestraft zu werden.»

BAZL: «Just Culture» muss ins Gesetz

Trotzdem kritisiert die Lotsen-Gewerkschaft HelvetiCA schon länger, die Schweiz sei eines der wenigen Länder, wo Strafuntersuchungen aufgrund von «Just Culture»-Meldungen eröffnet würden. Das müsse geändert werden.

Urs Holderegger vom Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL sagt: «Wir erachten eine gesetzliche Verankerung von ‹Just Culture› als sehr wichtig. Um eben diesen Konflikt zwischen den Sicherheitsansprüchen der Luftfahrt und der Justiz zu entschärfen.»

Wir erachten eine gesetzliche Verankerung von ‹Just Culture› als sehr wichtig.
Autor: Urs Holderegger Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL

«Just Culture»-Vorlage steht

Einen entsprechenden Vorstoss reichte SVP-Nationalrat Gregor Rutz 2019 ein. So soll es kein Strafverfahren geben, wenn die Behörden von einem Fehler nur aufgrund einer «Just Culture»-Meldung erfahren haben und kein grober Verstoss oder keine gravierenden Folgen vorliegen.

Der Bundesrat prüft nun, wie er die «Just Culture» als generelles Prinzip im Gesetz verankern kann. Nicht nur für die Luftfahrt, sondern auch für andere Bereiche wie etwa das Gesundheitswesen.

Info 3,19.02.2021, 17:00 Uhr

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