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Folgen des Steuerabkommens Tessiner Wirtschaft bangt um italienische Gastarbeiter

Infolge des neuen Steuerabkommens ist der Schweizer Arbeitsmarkt weniger attraktiv für italienische Gastarbeiter. Nun bangt die Tessiner Wirtschaft um die dringend benötigten Arbeitskräfte aus Italien.

Darum geht es: Seit einem halben Jahr zahlen neue Grenzgängerinnen und Grenzgänger in Italien deutlich mehr Steuern, wenn sie in der Schweiz arbeiten. Das macht es für die italienischen Gastarbeiter finanziell weniger attraktiv, in der Schweiz zu arbeiten. Nun bangt die Tessiner Wirtschaft, die stark von den sogenannten «Frontalieri» abhängt, um die dringend benötigten Arbeitskräfte aus Italien.

Das ist das Steuerabkommen zwischen Italien und der Schweiz

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Das neue Steuerabkommen ist seit Mitte Juli 2023 gültig. Es hält fest, dass neue Grenzgängerinnen und Grenzgänger ab diesem Zeitpunkt auch in ihrem Wohnsitzstaat Italien ordentlich besteuert werden. Bisher zahlten diese nur die Quellensteuer in der Schweiz. Je nach Familiensituation belaufen sich die Steuern auf zwei bis drei Monatslöhne. Die in der Schweiz bezahlte Quellensteuer wird abgezogen, um eine Doppelbesteuerung zu verhindern.

Folgen spürbar: Erste Stimmen aus der Industrie und der Gastronomie sagen bereits, dass sich auf gewisse Stellen weniger Bewerber meldeten. «Wir haben einen gewissen Rückgang gespürt bei den Bewerbungen», sagt Massimo Suter, Präsident von Gastro Ticino. Die Tessiner Wirtschaft ist stark von Grenzgängerinnen und Grenzgängern aus der Lombardei abhängig. Rund 80'000 Angestellte pendeln täglich zur Arbeit über die Grenze. Fast jede dritte im Tessin erwerbstätige Person kommt aus Italien. Der Grund: Die Löhne sind meist doppelt so hoch wie in Italien.

Das könnte sich mit dem neuen Steuerabkommen ändern, befürchtet Piero Poli, Inhaber eines Generikaunternehmens in Manno. «Es ist gut möglich, dass die Leute nun eher abwägen, ob sie in der Schweiz arbeiten wollen. Sie zahlen mehr Steuern in Italien, es bleibt ihnen also weniger Lohn, trotzdem fahren sie täglich zweieinhalb Stunden Auto.» Wegen der vielen Grenzgänger kommt es täglich zu Staus auf den Strassenverbindungen von Italien ins Tessin. Ganz zum Ärger der lokalen Bevölkerung.

Politik gegen Tiefstlöhne: Das neue Steuerabkommen mit Italien sei nicht im Interesse der Arbeitgeber, aber politisch gewollt, sagt Luca Albertoni, Direktor der Handelskammer Tessin: «Die Politik wollte, dass die Grenzgänger bestraft werden, im Sinne, dass diese weniger verdienen, dass die Schweiz weniger attraktiv wird. So sollen die Lohnunterschiede zwischen Einheimischen und Grenzgängern kleiner werden, was wahrscheinlich die Folge sein wird.»

Ein Grenzwächter arbeitet an der Grenze zwischen der Schweiz und Italien.
Legende: Das Pendeln in die Schweiz ist für italienische Grenzgängerinnen und Grenzgänger wegen des neuen Steuerabkommens weniger attraktiv. SRF

Denn zahlen die Grenzgängerinnen mehr Steuern, bleibt weniger Geld im Portemonnaie. Sie könnten möglicherweise nicht mehr bereit sein, zu Tessiner Mindestlöhnen zu arbeiten. Diese liegen derzeit bei 19.75 Franken. Insbesondere die Industrie, die international im Wettbewerb stehe, habe wenig Spielraum, die Löhne zu erhöhen, sagt Luca Albertoni: «Gut möglich, dass das Tessin weniger attraktiv wird für gewisse Unternehmen.» Er glaubt aber, dass die Folgen des neuen Steuerabkommens erst in einigen Jahren sichtbar werden.

Fachkräftemangel über die Grenzen hinaus

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Die Tessiner Bevölkerung altert im Vergleich zum Schweizer Mittel überdurchschnittlich. Dies, weil die Geburtenrate tief ist und viele Junge nach dem Studium in anderen Kantonen eine Arbeit finden. Die Lücke an Arbeitskräften hat die Wirtschaft in den vergangenen Jahren mit Grenzgängern gefüllt.

Das scheinbar unbegrenzte Reservoir an Arbeitskräften aus Italien ist nicht nur durch das Steuerabkommen infrage gestellt. Die Erwerbslosenquote in der Lombardei liegt gemäss der Internationalen Arbeitsorganisation ILO deutlich unter derjenigen des Kantons Tessin.

Italien will nun mittels einer Lohnprämie – bezahlt durch die Frontalieri – das Gesundheitspersonal aus dem Tessin zurückholen. Die Konkurrenz um die Fachkräfte verschärfe sich, sagt Luca Albertoni: «Die steuerliche Belastung und die Tatsache, dass Italien eine aggressivere Politik zugunsten ihrer Landsleute einschlägt, könnten dazu führen, dass es für uns schwieriger wird, Leute zu finden.»

Das spricht für Gastarbeitende: Pharmaunternehmer Piero Poli, der den Verband der Tessiner Pharmaindustrie präsidiert, gibt sich gelassen. Solange der Franken gegenüber dem Euro stark sei, liege der Vorteil bei den Grenzgängern. Bei der Anstellung spielten neben dem Lohn auch Entwicklungsmöglichkeiten und weitere Lohnbestandteile eine Rolle. Über Anpassungen beim Lohn will er noch nicht reden. Gastro-Ticino-Präsident Massimo Suter glaubt, dass die Schweizer Löhne für jene Grenzgänger, die nahe an der Schweizer Grenze wohnten, weiterhin attraktiv blieben: «Diese Angst, weniger zu verdienen, wird sich abschwächen.»

Schweiz Aktuell, 05.01.2024, 19:00 Uhr

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